Schule digital: Wie ein Lock-In an Schulen der Gesellschaft schadet

Was kurzfristig den Unterricht sichern soll, wird langfristig negativ auf unsere Bildung und unsere Gesellschaft wirken. Chaos macht Schule zeigt Auswege.

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(Bild: Neirfy/Shutterstock.com)

Lesezeit: 26 Min.
Von
  • Thomas Freihorst
  • Steffen Haschler
  • Benjamin Schlüter
Inhaltsverzeichnis

Überstürzt wurden in den vergangenen Wochen und Monaten an Schulen neue Geräte und Software angeschafft, um in der Coronavirus-Pandemie Distanzunterricht oder auch Hybridunterricht zu ermöglichen. Doch was den Unterricht während der Pandemie schnellstmöglich sichern sollte, wird auf lange Zeit negative Auswirkungen auf unser Bildungswesen und unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft haben. Wir verschärfen dadurch den Lock-In-Effekt. Aber was ist der Lock-In-Effekt eigentlich?

Der Begriff des Lock-In-Effekts stammt aus der Betriebswirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften. Ein Lock-In bindet Kund:innen an ein bestimmtes Produkt, weil sich ein Wechsel zu einem Konkurrenzprodukt wirtschaftlich nicht lohnt. Erreicht wird dies durch fehlende Interoperabilität zwischen den Produkten. Klassische Beispiele dafür sind Rasierklingen oder Objektive für Fotokameras, die nur mit den Produkten eines einzelnen Herstellers kompatibel sind.

Um Kund:innen für diese Abhängigkeiten zu gewinnen, werden sie zumeist mit attraktiven Startangeboten gelockt. Die Folgekosten werden bei Kaufentscheidungen selten mitkalkuliert. Langfristig profitieren daher die Hersteller von der Bindung mehr als die Kund:innen. Solche Lock-In-Bindungen gibt es im Informationszeitalter natürlich auch bei Hardware- und Software-Produkten.

Wenn gerade Technologien an Schulen überhastet eingeführt werden, möchten die Bildungsverantwortlichen nur sicherstellen, dass Distanzunterricht in Zeiten der Pandemie stattfinden kann, bevor die Schulen in nicht allzu ferner Zukunft wieder zum klassischen Unterricht – also dem analogen Präsenzunterricht – zurückkehren können. Tatsächlich vollziehen die Schulen dabei unbemerkt eine überstürzte Transformation vom Industriezeitalter zur Informationsgesellschaft, bei der Entscheidungen getroffen werden, die aufgrund von Lock-In-Effekten nur mit hohen Kosten und viel Mühe rückgängig gemacht werden können.

Chaos macht Schule

Chaos macht Schule (https://ccc.de/schule) ist ein seit über 10 Jahren bestehendes Bildungsprojekt des Chaos Computer Clubs (https://ccc.de/). Ziel des Projekts ist die Förderung von Technikbegeisterung und digitaler Mündigkeit, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Bis zur Pandemie führte Chaos Macht Schule regelmäßig Workshops in Bildungseinrichtungen durch. Da das Projekt dezentral in über 15 Städten läuft, gewinnen die ehrenamtlichen Hacker*innen bei ihrer Arbeit wertvolle Einblicke in unser bundesweites Schulsystem, auch in Bezug auf den unterschiedlichen Umgang mit neuen Technologien. Darüber hinaus berät CmS Bildungspolitiker und -verantwortliche zu Fragen in der Schnittmenge aus Technologie und Bildung. Zu Beginn der Pandemie haben viele Mitglieder von CmS ihre Energie für das Bereitstellen von schnellen und guten Lösungen für unsere Schulen eingesetzt wie bspw. Cyber4Edu in Berlin oder der Chaos Computer Club Mannheim in der Metropolregion Rhein-Neckar.

Viele Technologiefirmen sehen gerade in der Pandemie eine echte Chance in die Bildungseinrichtungen drängen zu können, preisen deshalb offensiv ihre Lösungen an und bieten sogar direkte Hilfe für die Erstellung von Medienentwicklungsplänen. Dabei haben viele dieser Firmen in der Vergangenheit bereits Produkte an Schulen verkauft, die sich als nicht praxistauglich erwiesen haben, wie zum Beispiel die interaktiven Tafeln der Firma SMART. Dem hohen Absatz lag ein gutes Marketing zugrunde und kein stimmiges Konzept für Schulen.

Solchen Firmen ist es wichtiger, ihre Produkte zu verkaufen, als dass ein nachhaltiges und passgenaues Medienkonzept für eine Schule entsteht. Dass solche Angebote dennoch gerne von Entscheider:innen angenommen werden, liegt daran, dass es ihnen an informatischen Fachkenntnissen, an pädagogisch-didaktischer Erfahrung oder an Zeit fehlt – meistens sogar an allem, denn die digitale Transformation der Schulen wurde über Jahrzehnte verschleppt.

Lock-In-Effekte gab es im Schulsystem natürlich schon immer. Schließlich sind Schulen Orte, zu denen nur wenige Dienstleister wie beispielsweise Schulbuchverlage Zugang erhalten. Denn mit Einführung eines bestimmten Schulbuches wird das Curriculum des Faches mit festgelegt und Lehrkräfte erstellen passend dazu Arbeitsblätter, Klausuren und mehr. Das festigt die Bindung an das Buch weiter. Die Geschäftsmodelle dieser Dienstleister sind auch auf den Erhalt dieser Exklusivität ausgerichtet und erschweren so Innovation. Bei den Schulbüchern wird unter anderem mit entsprechenden Lizenzen die Entstehung von freien Bildungsmaterialien, die auf den Lernplattformen dringend gebraucht werden, erschwert.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

Der sich jetzt abzeichnende Technologie-Lock-In in Schulen wird allerdings deutlich stärker ausfallen als die seit Jahrzehnten bestehenden Lock-In-Probleme wie bei dem oben erwähnten Schulbuch. Nicht nur bilden sich langfristige Abhängigkeiten aus, sondern die angeschafften Techniklösungen prägen neben den Lehrplänen für eine lange Zeit auch die Einstellungen ihrer Nutzer:innen.

Die Lock-Ins durch neu angeschaffte Hardware zeichnen sich bereits in vielen Städten ab. Denn sie setzen für ihre Schulen vermehrt auf Tablets wie das iPad von Apple. Gute Gründe gibt es: Die Geräte sind robust und durch ihr abgeschlossenes Betriebssystem können Nutzer:innen wenig kaputt machen. Grundschulen schätzen an iPads, dass diese einfach zu bedienen sind und die iOS-App-Welt gut gemachte Anwendungen für ihren Unterricht bereithält. Da es sich bei Apple um eine begehrte Marke handelt, nutzen Schulträger diese auch gerne als Werbung für ihre Schulen.

Dass das Betriebssystem ziemlich abgeschottet ist und jegliche Logik von Datei- und Ordnerstrukturen versteckt, womit das Gerät zu einer smarten Blackbox wird, spielt für sie nur eine untergeordnete Rolle. Dies ändert sich mit dem Alter der Schüler:innen. Da sich Schulen aber als Ganze für einen Endgerätetyp für ihre Lehrkräfte entscheiden müssen, sind die Schwierigkeiten im Kollegium vorprogrammiert, wenn zum Beispiel eine MINT-Lehrkraft einen Laptop mit einem freien Betriebssystem möchte.

Einige Schulträger gehen noch einen Schritt weiter und nehmen zusätzlich Produkte wie AppleTV direkt in ihren Medienentwicklungsplan auf (Siehe etwa die Stadt Hannover, 1000-2020, 2754-2020). Durch solche Maßnahmen werden andere Endgeräte systematisch ausgeschlossen und Umgebungen etabliert, welche die Handlungsmöglichkeiten der Lehrkräfte stark einschränken. Für einen späteren Kurswechsel müsste die angeschaffte Infrastruktur in Teilen ausgetauscht werden und es würde wiederum eine Einarbeitung in ein neues System stattfinden müssen. Dies trifft natürlich auch auf die Expertise der IT-Abteilung des Schulträgers zu, die nur einseitig auf ein bestimmtes System trainiert wird.

An den meisten Schulen fehlen immer noch Vollzeit-Administrator:innen. Einerseits werden diese Stellen für Schulen von den Kommunen gar nicht erst geschaffen, andererseits sind diese bei IT-Fachkräften finanziell gesehen häufig nicht konkurrenzfähig. Dies führt dazu, dass von unterdimensionierten kommunalen IT-Abteilungen einfache Lösungen bevorzugt werden, die mit dem bestehenden Personal umgesetzt werden können. Es werden beispielsweise einfach bedienbare Mobile-Device-Management-Systeme eingeführt, die aber nur eine Monokultur wie iPads ermöglichen. Wie so oft wird Geld nicht in eigenes Personal, sondern in Lizenzen internationaler Konzerne investiert

Um nicht in die Gefahr eines Hardware-Lock-Ins zu laufen, muss die Infrastruktur eine Diversität an Endgeräten zulassen. Als Faustregel sollte gelten: Hardware und Software müssen voneinander unabhängig betreibbar sein. Dadurch wird das gesamte System flexibler und somit resilienter – Veränderungen werden leichter umsetzbar. Es gibt mehrere Schulen in Deutschland, die sich hierbei auf einem sehr guten Weg befinden wie zum Beispiel das Georg-Büchner-Gymnasium Seelze nahe Hannover, das den Weg einer Linux-Schule geht und eine nachhaltige Digitalisierung anstrebt.

Generell sollte bereits bei der Wahl der Hardware in Schulen auf Fragen wie "Wer macht was mit meinen Daten?" und auf Reparierbarkeit beziehungsweise den Umweltschutz insgesamt geachtet werden. Hier fehlt es an klaren Vorgaben seitens der Ministerien, obwohl einige Länder bereits pro Klima handeln möchten. In der Verfassung von Niedersachsen steht beispielsweise: "In Verantwortung auch für die künftigen Generationen schützt das Land das Klima und mindert die Folgen des Klimawandels."

Mit in die Auswahl der Endgeräte sollten auch Themen wie Konfliktmaterialien, Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit einfließen (Greenpeace – Guide to Greener Electronics, PDF). Denn auch Schulen haben als Teil unserer Gesellschaft eine Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, wie es immer wieder von Fridays for Future gefordert wird.

Zur Auswahl der Endgeräte gibt es unsererseits Empfehlungen. Bei Tablets hat sich ein Herstellersupport für das Betriebssystem von längstens 5 Jahren etabliert. Diesen Zyklus gibt meist nicht die eigentliche Hardware vor, sondern der Hersteller und so wird nach dieser Zeit trotz intakter Hardware ein neues Tablet angeschafft. Felix Schoppe, Lehrer am Georg-Büchner-Gymnasium, berichtet dazu: "Wir leben digitale Nachhaltigkeit vor. Wir installieren und reparieren unsere Laptops zusammen mit Schülerinnen und Schülern und zeigen, dass man selbst zehn Jahre alte Business-Notebooks noch aktiv einsetzen kann. In Verbindung mit GNU/Linux verleiht man so vermeintlichem Elektroschrott ein neues Leben."

Dabei geht es nicht darum, bestimmte Endgerätegruppen aus unseren Schulen zu verbannen. Eine Schule könnte Endgeräte mit GNU/Linux besonders fördern, aber allen am Schulleben Beteiligten trotzdem die Wahl selbst überlassen. Zudem werden Spezialgeräte wie Grafiktablets für das Fach Kunst oder Festrechner für die Informatik vorgehalten.

Für die Umsetzung eines solchen Szenarios bedarf es natürlich entsprechender Ressourcen. Computer-AGs können die Schul-IT unterstützen und sich sogar an der Weiterentwicklung von freier Software beteiligen. Dies wird von einigen Schulen, wie dem Katharineum aus Lübeck schon seit Jahren erfolgreich praktiziert wie der stellvertretende Schulleiter Frank Poetzsch-Heffter berichtet: "In der Arbeit der Computer AG sehe ich eine Win-Win-Situation: Einerseits fördern wir Begabungen bis hin zu Kontakten in den Profibereich, andererseits erhalten wir wichtige Impulse für die Wartung und Verbesserung der IT-Technik."

Zusätzlich bedarf es ausgebildeter Techniker:innen, die den Schulen zur Verfügung stehen, wenn es um Grundsätzliches geht. Des Weiteren können Schulassistent:innen für den First-Level-Support ausgebildet werden und es könnte ein Freiwilliges Technisches Jahr an Schulen etabliert werden, auch für ältere Menschen, die aus ihren Berufen mit viel Fachwissen ausscheiden.

Bereits das oben angesprochene großflächige Anschaffen von iPads bringt Schulen einen zusätzlichen Software-Lock-In ein. Aber nicht nur auf Ebene der Betriebssysteme gibt es Lock-In-Fallen für unsere Schulen, denn wie in jedem Unternehmen sind dort eine Vielzahl unterschiedlicher Programme im Einsatz. Es gibt Verwaltungssoftware wie ein Notenprogramm, ein digitales Klassenbuch oder spezielle Software für den Fachunterricht. Außerdem werden in der Pandemie kurzfristig viele Lernplattformen eingeführt, auf denen sich neben Unterricht auch der Austausch des Kollegiums organisiert.

Für die Auswahl von für den Unterricht zugelassener Software existieren bisher wenige Vorgaben vonseiten der Ministerien. Das überrascht, da beispielsweise Schulbücher vor deren Einsatz ein Prüfverfahren durchlaufen. Und so wird rechtswidrige Software wie Microsoft Teams von Schulträgern ausgewählt.

Dass nach jahrelangem Hin und Her für Microsoft Teams ein Verbot ab dem 1. August für hessische Schulen ausgesprochen wurde, kommt sehr spät für viele Schulen. Die Politik hätte dies deutlich früher vorgeben müssen. Denn nicht Landesdatenschutzbeauftragte, sondern Gesetze geben vor, was erlaubt ist und was nicht. Ein Grund für das nötige Verbot ist, dass sich bei der Nutzung von Teams Daten beim US-Konzern ansammeln. Ein "Recht auf Vergessenwerden" ist nicht gewährleistet und die digitale Souveränität unserer Schüler:innen somit gefährdet.

Neben den Problemen, beim Einsatz von Teams die Datenschutzgesetze einzuhalten, ist ein Lock-In in der von Microsoft erdachten Bildungswelt vorprogrammiert. Denn Teams lässt keinen einfachen Datenexport oder -import zu, nutzt proprietäre Formate, ist wenig anpassbar und lässt sich schlecht mit anderen Anwendungen kombinieren. Dies bekommen viele öffentliche Schulen in Hessen, die seit Langem auf Teams setzen, nun zu spüren: Weder lassen sich dort erstellte Klassenteams in einer neuen Lernplattform importieren, noch können über Jahre gewachsene Class Notebooks oder in Forms erstellte Quizze aus Teams weiter genutzt werden. Diese Problematik addiert sich dann noch ungünstig mit dem immer bestehenden Schulungsaufwand aller Nutzer:innen auf neue Produkte, wofür im ohnehin stressigen Schulalltag wenig Zeit ist – insbesondere nicht während einer Pandemie. Gäbe es das behördliche Verbot in Hessen nicht, würden sicherlich die meisten der betroffenen Schulen bei Teams bleiben.

Wegen der fehlenden Anpassbarkeit und dem schwierigen Datenexport aus proprietärer Software sollten auch datenschutzkonforme Lösungen wie its learning nicht in unseren Schulen verwendet werden. Vergleicht man die Welt von vor zehn Jahren mit der heutigen, wird klar, dass wir nicht wissen, welche Technologien in weiteren zehn Jahren in Schulen gebraucht werden. Geschlossene Systeme sind zu unflexibel; sobald sie nicht mehr zu den eigenen Bedürfnissen passen, sitzt man in der Lock-In-Falle. Zu beobachten war dies zu Beginn der Pandemie, als das Videokonferenztool von Teams noch nicht über Breakout-Räume verfügte. Den Lehrkräften und Schüler:innen blieb nur das Verzichten auf Gruppenarbeiten und ein Warten auf das entsprechende Update. Somit musste sich Pädagogik und Didaktik nach der Technik richten anstelle umgekehrt bei gleichzeitiger Einnahme einer passiven Konsumentenhaltung, welche die digitale Mündigkeit gefährdet.

Und wer weiß heute, ob OneNote eines Tages eingestellt wird oder ob ein Unternehmen pleitegeht? Wenn Lehrkräfte ihr gesamtes Material in solchen geschlossenen Systemen erstellen, könnte das ein echtes Problem werden. Das haben die Nutzer:innen von "Padlet", einer digitalen Pinnwand, im vergangenen Jahr gemerkt. Das Tool erfreute sich großer Beliebtheit bis es kostenpflichtig wurde und man seine Datenschutzprobleme aufdeckte. Viel Material und viele Arbeitsstunden gingen verloren.

Das sich monatelang hinziehende Drama um Teams hätte man den Schulen ersparen können, wenn man von vorneherein auf bereits bestehende und praxiserprobte freie Technik gesetzt hätte. Eine solche ist zum Beispiel das seit Jahren betriebene BelWü-Hochschulnetz. Im eigens für den Unterricht in Baden-Württemberg angepassten Moodle wurde in kurzer Zeit und von wenigen Freiwilligen ein Videokonferenzsystem für Schulen hinzugefügt, als es zu Schulschließungen kam, was die Fähigkeit der Anpassung freier Software verdeutlicht. Dass die Systeme anfänglich teilweise unter Last zusammenbrachen, ist nachvollziehbar angesichts der Unterfinanzierung und den Ausstattungsmängeln, mit denen teilweise bis jetzt gekämpft wird. Diese Anpassung braucht es aber, um für jede einzelne Schule individuelle Lösungen bereitstellen zu können. Die technische Umsetzung kann überregional vorbereitet werden und Schulen können sich dann die Teile installieren, die sie wirklich brauchen.

Eine länderübergreifende Entwicklung spart dabei nicht nur Kosten, sondern hilft beim Beheben von Sicherheitslücken und anderer Softwarefehler. Sie setzt allerdings voraus, dass erfolglose Alleingänge, wie wir sie bei den Lernplattformen beobachtet haben, durch kooperatives Handeln ersetzt werden. Dabei braucht es offene Schnittstellen nicht zuletzt auch, um Lernenden und Lehrenden bei einem Schulwechsel einen einfachen Umzug ihrer Daten zu ermöglichen und neue Lernwerkzeuge einfach integrieren zu können.

Die eingesetzte Software muss quelloffen vorliegen, damit Interessierte in der Lage sind, sie zu verstehen, zu bewerten und zu hinterfragen. Wird eine solche Installation dezentral betrieben, werden Schulen digital souverän: Die einzelnen Instanzen sind untereinander ausfallsicher, sie bieten korrekt gehostet einen maximalen Datenschutz und eine große Unabhängigkeit gegenüber Anbieterentscheidungen.

Wenn viele Argumente also gegen die derzeit in Schulen verwendeten technischen Angeboten sprechen, stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu deren Einsatz kam. Die Gründe für die Einführung bestimmter Technologien sind zumeist anhand der Bildungslandschaft und seiner dort vorhandenen wie auch fehlenden Kompetenzen nachvollziehbar.

Oft treffen die Schulträger die Technologieentscheidungen, dabei sind sie meistens weder praktizierende Lehrer:innen noch Informatiker:innen. Auch sind sie nicht die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle. Folglich stellen sie ihre Bedürfnisse nach Planbarkeit, rascher Funktionalität und Finanzierbarkeit über den Schutz der Privatsphäre der Betroffenen, also der Lehrenden und Lernenden. Sie sehen in der aktuellen Situation zuerst die vom Bund einmalig bereitgestellten Gelder eines Digitalpakts, der keine Aussagen trifft, wie zeitgemäße Schulen aussehen müssen. Die Länder wiederum bieten bei den zu treffenden Entscheidungen wenig Unterstützung, wenn sie einfach nur die Geldtöpfe aufstocken (zum Beispiel in Baden-Württemberg). Parallel machen die Länder während der Corona-Pandemie ständig neue Vorgaben in Bezug auf die Öffnung beziehungsweise Schließung von Schulen, was die Schulträger unter Handlungsdruck setzt.

Um das Distanzlernen zu garantieren, werden Schulen oft Lösungen aufgezwungen, die gegebenenfalls gar nicht zu ihren Bedürfnissen passen oder die, wie in Hessen festgestellt, schlicht rechtswidrig sind. Stattdessen braucht es eine nachhaltige Entwicklung jeder einzelnen Schule in Abstimmung mit der dortigen Schulgemeinschaft. Eine Grundschule wird mit einer großen Lernplattform überfordert sein oder diese gar nicht richtig nutzen, während sie für ein Gymnasium angemessen ist.

Manche Schulen gerieten unverschuldet in einen softwareseitigen Lock-In, weil ihre Stadtverwaltungen schon lange auf Microsoft und dessen Sharepoint setzten. Da die Städte oft Schulträger sind und daher für die Ausstattung ihrer Schulen verantwortlich sind, wird passend dazu die Lernplattform Teams ausgewählt. Das macht aus städtischer Sicht Sinn, da entsprechende Verträge nur noch zu erweitern sind, Kosten kalkulierbar scheinen und ihre zu kleinen IT-Abteilungen es leichter haben, wenn alle mit dem gleichen System arbeiten.

Hier zeigen sich die Folgen eines seit vielen Jahren bestehenden Lock-In-Effekts in den kommunalen Verwaltungen. Kaum einer mag bei den damaligen Entscheidungen vorhergesehen haben, dass sie nachhaltige Auswirkungen auf unser Bildungssystem haben werden, weil sich der Lock-In hier fortsetzt. Schulen müssen nun einmal mehr die Versäumnisse der Politik ausgleichen.

Firmen wie Google, Microsoft oder Apple sind internationale Aktiengesellschaften und folgen den ökonomischen Interessen ihrer Aktionär:innen. Dafür werden unter anderem Datensammlungen der Nutzer:innen aufgebaut, weswegen es sich für sie lohnt, bereits an junge Menschen heranzutreten und sie von klein auf an ihre Produkte und ihre Art der Datennutzung zu gewöhnen. Google spielt im deutschen Bildungsmarkt zwar bisher keine große Rolle. Da sie aber in den USA ein wichtiger Player im Bildungsbereich sind, kann sich das in Deutschland auch langfristig ändern.

Shoshana Zuboff, Professorin für Wirtschaftswissenschaften, kritisierte das auf Datensammlungen basierende Geschäftsmodell einst treffend als "Tyrannei des Überwachungskapitalismus". Vor diesem Hintergrund ist schwer nachvollziehbar, dass Politiker:innen es zulassen, dass Lehrkräfte und Schüler:innen für diese Geschäftsinteressen dressiert werden. Zumal zusätzlich Lizenzgebühren erhoben werden und es wegen oben beschriebener Geschäftsmodelle auch formaljuristisch zu Datenschutzverletzungen kommt.

Natürlich gehören Geschäftsbeziehungen zwischen Firmen und Schulen zum Alltag, woher sonst sollten beispielsweise die technische Ausstattung oder Möbel stammen. Dabei sollten Schulen jedoch werbefreie Räume bleiben, in denen die besten Lösungen anhand klarer Kriterien eingekauft werden und nicht weil ein Anbieter das beste Marketing besitzt oder eine Komplettlösung bereits in der öffentlichen Verwaltung etabliert wurde. Es sollte beim Ausschreiben öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden, dass momentan Firmen, deren Geschäftsmodelle auf dem Sammeln von Nutzer:innendaten basieren, auch noch in unsere Schulen einziehen. So wird ihre Marktmacht auf Kosten von Schüler:innen noch weiter verfestigt.

Viele der durch Schulträger und Bildungspolitik ausgelösten Fehlentwicklungen und Irrfahrten, bei denen Software erst eingesetzt werden muss und dann wieder verboten wird, werden auf den Schultern der ohnehin überlasteten Lehrkräfte ausgetragen. Die oft von Lehrkräften oder Dritten geäußerte Folgerung, dass der Datenschutz daran schuld sei, ist jedoch falsch. Der Datenschutz ist ein essenzielles Grundrecht. Wenn dieses mit Einführung von bestimmten Technologien mit Füßen getreten wird, sollte die Kritik korrekterweise an Schulträger und Bildungspolitik adressiert werden.

Zudem wird behauptet, dass die Auswahl der Software und Hardware alternativlos sei und dass Datenschutzverstöße von Firmen wie Microsoft geduldet werden müssten, damit der Unterricht auf Distanz weitergehen kann. Zahlreiche funktionierende Gegenbeispiele beweisen, dass dem nicht so ist. Dabei wird gerne verschwiegen, dass die Entscheider:innen diese scheinbare Vormachtstellung selbst provoziert haben. Denn anstelle immer weiter Lizenzgebühren zu bezahlen, könnte man dieses Geld in Weiterentwicklung und Schulung von freier Software investieren.

Besonders überrascht die Entwicklung der Lernstatt Paderborn. Die bereits 2001 gestartete und ständig weiterentwickelte Lerninfrastruktur für insgesamt 37 Schulen wird von einem breiten Zusammenschluss von Firmen, der Universität Paderborn und der Stadt getragen. Pädagogische und technische Fragen werden durch zusätzliche Arbeitsgruppen begleitet. Die hierfür in den Schulen installierten Server werden von einem lokalen Rechenzentrum administriert, um den Lehrkräften den Rücken freizuhalten. Als es zum Distanzlernen kam, stellte sich heraus, dass die Plattform dafür nicht konzipiert war und es kam zu Ausfällen und Cyber-Angriffen. Anstelle mit dem offensichtlich vorhandenen Know-how eigene Lösungen zu entwickeln und das System entsprechend anzupassen, entschied sich die Lernstatt Paderborn Ende 2020 dazu, Microsoft Teams einzukaufen.

Ähnliche Problematiken wie in der Bildung bestehen auch an anderen öffentlichen Stellen. Politiker:innen beklagen sich regelmäßig über die Abhängigkeit in der Verwaltung von Microsoft, ohne etwas daran zu ändern. Man begibt sich sogar noch tiefer in den Lock-In: Das einstige Vorzeigeprojekt in München unter Verwendung von Linux (LiMux) wurde nach wenigen Jahren eingestellt. Einer der Gründe war, dass nicht alle von der Verwaltung benötigten Anwendungen für Linux verfügbar waren und zu wenig investiert wurde, um diese auf Linux zu portieren oder neuzuentwickeln.

Wenn wir uns nicht der Herausforderung stellen und nachhaltige Lösungen finden, verlieren wir perspektivisch jede Chance auf digitale Souveränität – nicht nur in der Bildung. Denn je länger Lock-In-Technologien im Einsatz sind, desto schwerer und teurer wird der Wechsel zu anderen Technologien: Lehrkräfte, die über Jahre hinweg ihre Unterrichtsmaterialien mit Lock-In-Software erstellt haben, fällt der Wechsel verständlicherweise schwer. Und je länger wir Lizenzkosten für proprietäre Software zahlen, desto weiter können deren Hersteller diese optimieren, während gerade dieses Geld für die Weiterentwicklung freier Software fehlt.

Auch leidet die digitale Mündigkeit von Schüler:innen und Lehrenden, wenn sie nur Software-Pakete ausgewählter Hersteller bedienen können. Schon heute begegnen uns immer wieder Personen, die trotz kurzer Einführung nicht in der Lage sind, mit einer anderen Textverarbeitung zurechtzukommen. Neben Produktwissen muss auch Konzeptwissen vermittelt werden, sodass eine Einarbeitung in neue Umgebungen schnell möglich ist.

Je schwerer ein Wechsel fällt, desto mehr Geld kann der Anbieter für sein Produkt fordern – die öffentliche Hand übernimmt diese Kosten zwangsweise. Ähnlich wie in der Politik, wo die Kosten für Microsoft-Lizenzen Jahr für Jahr stark steigen, besteht dieses Risiko auch für unsere Bildungslandschaft. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass die Firmen geringe Gewinnen akzeptieren, da sie primär an der Bindung der Nutzer:innen interessiert sind beziehungsweise deren Daten sammeln möchten.

Eine Software-Vielfalt und die Möglichkeit, Software frei den eigenen Bedürfnissen anzupassen, fördert die digitale Mündigkeit von Schüler:innen und Lehrkräften. Würden Schulen diesen Schritt flächendeckend gehen, müsste nicht jede Schule die hohen Kosten für die Anpassungen zahlen. Die öffentliche Hand würde statt Software-Lizenzen nun die Weiterentwicklung von freier Software finanzieren, weitere Kosten fallen für den Betrieb an. Dies schafft lokale Arbeitsplätze und bringt die Software weltweit voran. Genauso wie die Schulen von den Weiterentwicklungen anderer profitieren werden.

Innerhalb der EU ansässige Firmen zahlen im Gegensatz zu manchen globalen Tech-Giganten Steuern auf ihre Gewinne. Mit entsprechenden Budgets kann freie Software in vielen Bereichen den Vergleich zu proprietärer Software halten. Auch Hardware kann länger eingesetzt werden, weil Sicherheitsupdates länger zur Verfügung gestellt werden.

Es werden weniger oft neue Geräte angeschafft, was aus Umweltaspekten nachhaltiger ist und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Konfliktmaterialien in Ländern des globalen Südens verringert. Langfristig wäre dieser Weg zukunftssicherer. Außerdem verhindert dezentral betriebene Infrastruktur den flächendeckenden Ausfall von Plattformen oder überregionale Leaks von personenbezogenen Daten.

Schüler:innen, deren Know-How sich nicht nur auf den Umgang mit Microsoft oder Apple Geräten beschränkt, sondern die ein grundlegendes Verständnis für Technologie entwickelt haben, sind problemlos in der Lage, sich kurzfristig Neues anzueignen. Auch wären die Hürden, die Software in Politik und Behörden auf freie umzustellen, deutlich geringer und die für unsere Gesellschaft so wichtige und oft geforderte digitale Souveränität wäre langfristig gesichert. Das bei Lizenzen eingesparte Geld stünde unter anderem für die Weiterentwicklung von freier Software zur Verfügung.

Ziel des Schulsystems müssen mündige Menschen sein, die die digitalen Werkzeuge verstehen und hinterfragen können. Digitale Mündigkeit muss über reines Anwendungswissen oder informatische Grundlagen wie das Programmieren hinausgehen. Schüler:innen sollen keine bloßen Nutzer:innen und Werbekund:innen von Plattformen werden, sondern diejenigen sein, die ihre Maschinen kontrollieren und gestalten. Digitalpolitik darf dabei nicht als technischer Randbereich verstanden werden, sondern muss als Grundpfeiler einer modernen Gesellschaftspolitik behandelt werden. Ohne mündige Bürger, im Analogen wie im Digitalen, ist keine Demokratie möglich.

Vor dem Hintergrund der jahrelangen Fehlentwicklungen ist der Weg zu Lock-In-freier Infrastruktur kein leichter, doch je länger wir warten, desto steiniger und teurer wird er. Im Sinne einer freien Bildung, mündigen Bürgern und einer freien Gesellschaft (PDF) müssen wir ihn gehen. Schulen wären der beste Startpunkt dafür.

Dieser Text steht unter der Lizenz CC-BY 3.0

Artikelserie "Schule digital"

(kbe)