Schatten über der Klonforschung

Das südkoreanische Klonforscher-Idol Hwang Woo-Suk hat die Welt betrogen. Seine Forschungsergebnisse sind gefälscht.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Edda Grabar
  • Sascha Karberg

Ja, es ist wahr. Hwang Woo-Suk ist ein Lügner und Betrüger. Nur zwei der elf menschlichen Stammzelllinien, die der Forscher klonte, existierten tatsächlich am 19. März 2005 als die Arbeit dem Wissenschaftsmagazin Science vorgelegt wurde. Die restlichen neun sind gefälscht. Zu diesem Schluss kam der Untersuchungsausschuss, den die Leitung der Nationalen Universität von Seoul unmittelbar nach den Fälschungsvorwürfe vor einer Woche eingesetzt hatte.

Im Februar letzten Jahres wurde der Koreaner zum Shooting-Star unter den Klonforschern. Als erstem war es ihm gelungen Stammzellen aus geklonten menschlichen Embryonen zu gewinnen. Und kam damit den Zielen der Stammzellforscher, die wandlungsfähigen Zellen gegen Krankheiten einzusetzen, ein ganzes Stück näher. Ein Jahr später gelang Hwang der nächste Coup: Im Mai dieses Jahres konnte er zeigen, dass er die potenziell helfenden Stammzellen so schnell produzieren konnte, dass die Klontechnik für den klinischen Alltag tauglich erschien. Doch genau diese Arbeit war falsch. Es handele sich nicht etwa um einfache Fehler, sondern um absichtliche Manipulation, heißt es in dem Zwischenbericht der Untersuchungskommission.

Tatsächlich lagen zu dem Zeitpunkt, als die Forschungsergebnisse beim Fachmagazin Science eingereicht wurden, höchstens zwei menschliche Stammzelllinien vor, doch auch deren Existenz wurden mittlerweile in Frage gestellt. Vier weitere waren bereits im Januar 2005 von Pilzen verseucht und unbrauchbar. Drei weitere befanden sich noch im Entwicklungsprozess und waren noch nicht als Stammzellen bestätigt. Über die verbleibenden beiden Linien weiß man nichts. Am Donnerstag will die Universität eine Pressekonferenz abhalten und die abschließenden Ergebnisse ihrer Untersuchung präsentieren.

Dass irgendetwas mit der Arbeit nicht stimmen konnte, schwante der Universitätsleitung bereits im November. Schon damals hatte der Co-Autor der Veröffentlichung, Roh Sung Il vom MizMedi-Krankenhaus in Seoul, im koreanischen Fernsehen die Echtheit von neun Stammzelllinien angezweifelt. Ist Roh Sung Il nun der Held, der die Wissenschaftsgemeinde vor einer großen Schande bewahrt hat – oder wollte er sich vielmehr selber retten? Und seinen Namen wieder reinwaschen?

Roh, der zweite von insgesamt 25 Autoren auf der angezweifelten Science-Arbeit, hatte lange geleugnet und letztlich zugeben müssen 16 Frauen bezahlt zu haben, damit sie ihre Eizellen für Hwangs Klonexperimente spenden. Ohne Hwangs Wissen habe Roh jeder Frau umgerechnet rund 1200 Euro gezahlt. Und auch Hwang hatte Ende November zugeben müssen, gelogen zu haben, als er zum Beispiel auf einer Pressekonferenz in Berlin die Frage verneinte, ob Mitarbeiterinnen seines Labors trotz ihrer beruflichen Abhängigkeit und entgegen internationaler bioethischer Regeln Eizellen gespendet hätten.

Ausgerechnet Gerald Schatten hatte Hwang zu dieser Selbstbezichtigung gezwungen. Der Forscher von der Universität Pittsburgh, der die Klontechnik an Affen ausprobiert, arbeitete fast zwei Jahre lang eng mit dem Koreaner zusammen. Drei Publikationen in hochrangigen Fachmagazinen brachte das Team zustande. Auf der gefälschten Science-Arbeit wird der US-Forscher sogar an letzter Stelle genannt – ein prominenter Platz, der sonst dem Kopf des jeweiligen Forschungsprojekts zusteht. Ein Herz und eine Seele war dieses Paar noch bis Ende November. Angebiedert, so meinen andere Stammzellforscher, habe sich der Amerikaner an den Klonstar aus Korea.

Doch Gerald Schatten will seit Bekannt werden des ethischen Fehltritts nichts mehr von seinem koreanischen Kollegen wissen. Noch vor dessen Pressekonferenz am Freitag bat er beim Fachmagazin Science um die Tilgung seines Namens von der Publikation. Mit den Vorgängen in Korea will der renommierte Forscher nicht in Verbindung gebracht werden. Und das, obwohl er in einer der jubelnden Pressemitteilung, die die Universität Pittsburgh anlässlich des angeblichen Klondurchbruchs herausgab, als "Berater" der Koreaner genannt wurde, um – so wörtlich – die Daten zu "analysieren", zu "deuten" und in einem englischsprachigen Manuskript aufzubereiten.

"Als Koautor ist Schatten genauso verantwortlich wie jeder andere Autor auf dieser Arbeit auch", sagt Eckhard Wolf, Klonforscher von der Technischen Universität München. "Für Schatten wäre es kein Problem gewesen, jemanden nach Seoul zu schicken oder sich ein paar Zellen von den Patienten und den dazu gehörigen Stammzelllinien schicken zu lassen, um einen DNA-Vergleich zu machen." Das könne jede DNA-Diagnostik-Firma. Dann wäre es vielleicht nie zu dieser Arbeit gekommen, weil Betrugsversuche oder Schlampereien frühzeitig aufgefallen wären. Es sei eben gefährlich, wenn man sich als letztgenannter Autor unter eine Arbeit setzen ließe, an der man selbst nicht beteiligt gewesen sei, stimmt ihm der Genetiker Rudolf Jaenisch vom Massachusetts Institut of Technology (MIT) zu.

Jaenisch und Wolf sehen sowohl Schatten als auch seinen Kollegen Jose Cibelli von der Michigan State University, der bei Hwangs erster Science-Arbeit 2004 Pate stand, in einer besonderen Verantwortung. Beide seien als so genannte Korrespondenz-Autoren, gewissermaßen als Vermittler zwischen den Koreanern und Science, aufgetreten. Schatten habe wohl nicht an den Experimenten mitgewirkt, sondern die Daten organisiert. "Was das genau heißen soll, weiß ich nicht", sagt Jaenisch. Jedenfalls könnte Schatten sich jetzt nicht einfach mit dem Hinweis zurückziehen, von allem nichts gewusst zu haben, meint auch Wolf.

Denn eine Zeitlang war Hwangs Ruhm für Schatten, Cibelli und andere Klonforscher in den USA durchaus nützlich. Mit dem Erfolg des Koreaners ließ sich auch Politik machen. Wenn die Finger der Forscher auf die blühenden Klon- und Stammzelllandschaften in Seoul zeigten, zielten sie in Wirklichkeit auf die Verantwortlichen in der gegenwärtigen Regierung, die der Stammzellforschung die finanzielle Unterstützung verweigern. Nicht zuletzt Hwang verdanken die Forscher, dass Kalifornien in der Stammzellpolitik auf Konfrontationskurs mit der Bundesregierung gegangen ist. Doch so wie sich die Stammzellforscher durch Hwangs Erfolg Unterstützung erhofften, befürchten sie nun auch Gegenwind. "Diejenigen, die von dieser Forschungsrichtung nichts halten, werden sich bestätigt sehen", sagt Klonexperte Hans Schöler, Leiter des Max-Planck-Instituts für vaskuläre Biologie in Münster.

Ein Stück weit ist dieser Skandal auch ein Problem der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Hwang wurde sowohl in Korea als auch international bereits gefeiert als seine Arbeit nach den Regeln der Wissenschaft noch gar nicht als akzeptiert gelten konnte. Der Weg in die "Scientific Community" beginnt mit einem aufwändigen Gutachter-Prozess, der für gewöhnlich etwa vier Monate dauert. Die Arbeit des Koreaners hingegen wurde in einer Art Schnelldurchlauf innerhalb von acht Wochen durchgeschleust. Donald Kennedy, Chefredakteur bei Science, sieht jedoch keine Qualitätsmängel. "Diese Arbeit ist von sehr vielen Wissenschaftlern gründlich begutachtet worden", sagt Kennedy. Bei so entscheidenden Forschungsergebnissen sei es üblich, sie möglichst schnell zu veröffentlichen. Außerdem prüfen die Gutachter normalerweise nur die Plausibilität der dargestellten Daten und nicht, ob die Daten tatsächlich stimmen und im Experiment erzeugt wurden statt am Computer passend gemacht.

"Wer wirklich schummeln möchte, der schafft das auch", sagt Rudolf Jaenisch. Gerade bei Experimenten, die so nicht wiederholbar seien. Gutachter seien keine Kriminalisten, die einem Schwindel auf der Spur seien. "Man geht schließlich von der Integrität jedes Wissenschaftler aus." Denn wer einer Fälschung oder auch nur einer zwielichtigen Schlamperei überführt wird, riskiert seine wissenschaftliche Reputation. Doch in diesem Fall steht noch mehr auf dem Spiel. Für Südkoreas Regierung, die Hwangs Arbeit bis 2012 mit umgerechnet insgesamt 112 Millionen Dollar fördern wollte, ist die Demontage des Nationalen Idols Hwang eine politische Katastrophe. Und eine wirtschaftliche, denn die Börse reagiert prompt. Der Südkoreanische Börsenindex Kospi (Korea Composite Stock Price Index) fiel am vorvergangenen Freitag um 1,2 Prozent. Der größte Verlust innerhalb eines Monats. Der Koreanische Medizin-Aktien-Index fiel sogar um 5,7 Prozent, die größte Abwertung im Vergleich zu den 19 anderen Industrie-Indices.

Doch das darf für Hwang keine Rolle spielen. Als Wissenschaftler muss er das Interesse haben, dass sein Ruf von allen Betrugsvorwürfen rein gewaschen wird. Das dürfte ihm schwer genug fallen. Deshalb reicht es nicht, sich von einer koreanisch geführten, anonymen Forschertruppe prüfen zu lassen, wie sie Hwangs Universität eingerichtet hat. Hwang muss Klonexperten wie Ian Wilmut und Keith Campbell, die als erste ein Säugetier, das Schaf Dolly, klonten, überzeugen. Beide haben sich gemeinsam mit Kollegen in einem Aufruf an das Magazin Science als unabhängige Experten angeboten.

Mehr noch: "Jede Veröffentlichung von Hwang ist jetzt in Frage zu stellen", sagt Rudolf Jaenisch. Auch die Arbeit vom August dieses Jahres, in dem Hwang einen Hund geklont haben will. Und erst recht jene Arbeit aus dem Frühjahr 2004, als Hwang bekannt gegeben hatte, den ersten Menschenklon geschaffen und daraus Stammzellen hergestellt zu haben.

Kann Hwang die Task Force nicht von seiner Unschuld überzeugen, dann wird ihm wohl ergehen wie einst dem deutschen Klonforscher Karl Illmensee, dem es angeblich 1981 als erstem gelungen war, Mäuse zu klonen. Das Experiment hatte kein Kollege nachvollziehen können und es gab Ungereimtheiten, wie das Ergebnis zustande gekommen war. Juristisch wurde ein Betrug nie bewiesen, doch den Verdacht wurde Illmensee nicht mehr los. Der begnadete Forscher bekam kein Bein mehr auf wissenschaftlichen Boden. (wst)