RFID-Großversuch: Das Kaufhaus der Zukunft

Japan will mit RFID-Etiketten nicht nur die Logistik, sondern auch Marketing und Verkauf revolutionieren.

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Von
  • Martin Kölling

Smarte Etiketten, die Daten speichern und über Funk abgelesen und beschrieben werden können, gelten schon lange als Hoffnungsträger für die vollständige Vernetzung des Lebens. Am Freitag ist nun in Japan ein Großversuch gestartet worden, der den RFID-Etiketten (Radio Frequency Identifikation) endlich zum lange erwarteten Durchbruch im Alltag verhelfen soll. „Wir wollen durch die Etiketten nicht nur die Kosten in der Logistik senken, sondern auch Mehrwert im Verkauf schaffen“, erklärt Yoshihiko Mizuno vom Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti), der Koordinator des Projekts. Dazu testet das Meti in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus sechs Branchen bis Ende Februar zig Ideen, wie die Etiketten auch am Verkaufstresen und daheim das Einkaufserlebnis revolutionieren könnten.

Japan hat sich damit ein hohes Ziel gesetzt. Denn trotz allem Hype wird die Technik bisher hauptsächlich für bargeldlosen Zahlungsverkehr mit elektronischem Geld und die Verfolgung von Waren von der Fabrik bis zum Lager eingesetzt. Den Sprung der smarten Chips über den Verkaufstresen bis hin ins Wohnzimmer der Kunden wurde durch technische Schwierigkeiten, fehlende Standards und die Angst vor dem gläsernen Kunden verhindert. Der Großversuch soll nun zum einen klären, welche Anwendungen für die Menschen und Unternehmen attraktiv sind. Zum anderen soll ein Standard entwickelt werden, so dass ein Etikett Produkte wirklich von der Fabrik bis ins Wohnzimmer des Kunden begleiten kann. Zuerst werde man sich auf Japan konzentrieren, sagt Mizuno. „Aber unser Ziel ist ein Weltstandard“.

Es wird dementsprechend geklotzt. Insgesamt sechs Versuchsreihen führt das Meti durch – jeweils mit prominenter Beteiligung. Im Bereich Haushaltselektronik setzt Elektronikgigant Hitachi Feldversuche mit den führenden technischen Kaufhäusern des Landes um. Die größten Verlage testen in Zusammenarbeit mit Buchhandelsketten Lösungen im Buchhandel. Weitere Teilnehmer sind die nationalen Convenience-Store-Ketten (24 Stunden geöffnete Mini-Supermärkte), die großen Supermärkte und ein Modehersteller. Der öffentlichkeitswirksam inszenierte Start der Versuchsreihe ist allerdings dem „Kaufhaus der Zukunft“ vorbehalten.

Um in den Medien und bei den Entscheidern japanischer Familien, den Frauen, auch wirklich wahrgenommen zu werden, hat sich das Meti Kosmetik als Demonstrationsobjekt ausgeguckt. Japans führende Kosmetikmarke Shinseido stellt Stand und Produkte zur Verfügung, das Edel-Kaufhaus Mitsukoshi seine bekannteste Filiale im Zentrum von Japans berühmter Glitzermeile Ginza und der Elektronikhersteller Fujitsu liefert einen Großteil der Hardware. Insgesamt sieben Ideen werden getestet: Das Multi-Sample-Display besteht aus einem Ständer mit sieben Cremes und Lotionen, einem RFID-Leser und einem berührungsempfindlichen Bildschirm. Kundinnen brauchen nun nicht mehr die Verkäuferin zu fragen, sondern sie können sich einen Tester greifen, über das Lesegerät schwenken und schon werden die Produktinformationen auf dem Display dargestellt. Gleich daneben steht großer Tester-Stand mit 49 Make-up-Produkten, die alle mit RFID-Etiketten versehen sind. Mit diesem Gerät kann das Unternehmen Daten darüber sammeln, welche Kosmetika am besten ankommen.

Idee Nummer drei ist ein eCouncelling-System. Die Verkäuferinnen erhalten einen Tablet-PC und können den Kundinnen so deren Einkaufsgeschichte zeigen. Zudem können bis zu zehn Produkte durch einfaches Schwenken über eine RFID-Leser zum Kauf registriert werden. Darüberhinaus wird Shiseido zehn Produkte vom Zentrallager aus mit RFID-Etiketten versehen, um die Integration in die Lieferkette zu testen. Zusätzlich wird ein „RFID-tags@home“-System erprobt, dass die Kundinnen zuhause nutzen können, um Produktdaten abzurufen. Zwei bereits marktreife Systeme runden das kombinierte Forschungs- und Werbeprojekt ab. Bei dem einen handelt es sich um ein Informationsterminal für Kosmetika, das Mundpropaganda als Marketinginstrument im Kaufhaus einsetzt. Hier können nicht nur Produktinformationen, sondern auch Produktempfehlungen des Kaufhauses, Nutzer-Bewertungen, und sogar Nutzerkommentare abgerufen werden, die wie bei Blogs über das Internet eingegeben werden. Der Clou jedoch ist ein virtuelles Schminkstudio. Eine Verkäuferin demonstriert, wie es funktioniert. Sie lächelt in die Videokamera. Klick. Dann lädt sie über den RFID-Leser ihren ausgewählten Lidschatten, Rouge und Lippenstift ein und einen Wimpernschlag später ist ihr Spiegelbild auf dem Bildschirm virtuell geschminkt. Sagen ihr die Töne nicht zu, sind sie mit einem Schwenk geändert. Und nach nur fünf Minuten ist die Auswahl beendet, die Kundin und eine Verkäuferin sonst etwa eine halbe Stunde gekostet hätte.

So hübsch das alles aussieht, noch merkt man dem Projekt das Versuchsstadium an. In den meisten Fällen haben die Entwickler offensichtlich keinen Gedanken auf die Informationsdarstellung verschwendet und einfach Produktinformationen aus dem Internet auf den Bildschirm übertragen. Bis auf die zwei marktreifen Ideen ist die Schrift auf den Displays daher viel zu klein, um sie aus normaler Stehentfernung, also mit drei Fuß Abstand, lesen zu können. Zudem erschweren die Spiegelungen der Kaufhausbeleuchtungen auf den Displays das Lesen. Richtig nervig dürfte jedoch das in die Displays eingebaute Audio-Feedback werden. Bei jedem Schwenk eines Testers über eines der Lesegerät erschallt ein Mehrton-Klang. Und plötzlich klingt das Edelkaufhaus wie ein Spielkasino. (wst)