Livedoor: Ein kleines Internetportal erschüttert die Börse

Die Durchsuchung des kleinen Internetunternehmens Livedoor entwickelt sich zum japanischen Börsendebakel.

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Von
  • Martin Kölling

Kleine Ursachen haben manchmal große Wirkung. In Japan entwickelt sich eine Durchsuchung des kleinen Internetunternehmens Livedoor und der Wohnung seines kultigen Chefs Takafumi Horie (33) zum doppelten Börsendebakel. Zum eine stürzte der Nikkei-Aktienpreisdurchschnitt der 225 führenden Werte innerhalb von zwei Tagen um satte 5,7 Prozent auf 15341,18 Yen ab. Zum anderen brach heute das Handelssystem der Tokioter Börse unter den Panik-Verkäufen bereits zum zweiten Mal in drei Monaten zusammen. Die letzten 20 Minuten des Börsentages fand kein Handel mehr statt.

Die Reaktionen scheinen auf den ersten Blick unverhältmäßig. Gerade 563 Mio. Euro Umsatz und 107 Mio. Euro Gewinn erzielte das kleine Internet-Imperium im Ende September 2005 abgelaufenen Geschäftsjahr. Doch die Aktie spiegelt nicht den Umsatz des Internet-Portals wieder, sondern einen Traum von einem neuen Japan, in dem der Wagemutige auch unter Verstoß gegen die guten Sitten ohne schlechtes Gewissen Geld scheffeln kann.

Der Traum begann 1996: Horie brach sein Religionsstudium an der elitären Tokio Universität ab, um ein Internet-Design-Studio mit dem für ihn offenbar programmatischen Namen "Livin' On the Edge" zu gründen. Vier Jahre später auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie kassierte er beim Gang an den Neuen Markt der Tokioter Börse groß ab. Das Geld nutzte er, um sich ein kleines Imperium zusammenzukaufen.

2002 verleibte er sich den Internet-Provider Livedoor ein, den er 2003 später als sein neues Firmenschild wählte. Seitdem ging es mit ihm und seinem Unternehmen kometenhaft bergauf. Bis zum Ende September 2005 abgelaufenen Geschäftsjahr verdreizehnfachte er den Umsatz auf 536 Mio. Euro und überholte den 35 mal größeren Autobauer Mazda an Marktwert.

Gleichzeitig splittete das Unternehmen viermal seine Aktien und vermehrte so laut der Zeitung Yomiuri die Anteilsscheine um das 30000-fache. Das Hauptgeschäft sind weiterhin Internet-Provider und -Portal. Darüber hinaus umfasst der ambitionierte Mini-Mischkonzern auch ein Wertpapierhaus, Werbeagentur und Verlage.

Je höher Livedoors Kurs stieg, desto waghalsiger wurden Hories Manöver. 2004 verschreckte er das konservative Establishment mit dem Kaufversuch eines Baseball-Vereins. Endgültig zum Helden der Straße und Feind der Japan AG wurde er 2005, als er finanziert durch eine US-Investmentbank eine feindliche Übernahme des privaten Fernsehsenders Fuji Television Network versuchte, um für sein Internetportal Sendeinhalte zu erobern. Bei seinen Fans hatte er damit den Ruf als unerschrockener Verfechter des Shareholder-Kapitalismus weg, als Rebell gegen das Establishment. Bei seinen vielfachen Auftritten im Fernsehen pflegte er das Image. So posierte der struwwelhaarige Unternehmenschef schon mal mit Totenkopf-T-Shirt und Spielzeug-Maschinenpistole im Anschlag. Seinen mächtigen Feinden galt er als geldgieriger, skrupelloser Zocker und als "unsoziales Element".

Den Höhepunkt des Horie-Hype erlebte Japan bei den Unterhauswahlen im September 2005. Japans reformerischer Ministerpräsident Junichiro Koizumi hatte den bis dahin bekennenden Nichtwähler Horie im Wahlkampf als so genannten "Meuchelmörder" gegen seinen Erzrivalen Shizuka Kamei antreten lassen.

Doch nun könnten sich Livedoors waghalsige Finanzmanöver rächen. 2004 übernahm die Livedoor-Tochter ValueClick, heute Livedoor Marketing, den Verlag Money Life. Die Staatsanwaltschaft wirft Livedoor vor, dabei ValueClicks Firmenwert durch falsche Informationen über die Fusion und eine frisierte Bilanz nach oben getrieben zu haben, um dann bei einem höchst ungewöhnlichen Aktiensplitt von 1 zu 100 einen hohen Gewinn einzufahren.

Zum einen soll die Unternehmensführung verschwiegen haben, dass Livedoor den Verlag zum Zeitpunkt des Angebots bereits durch einen eigenen Investmentfund kontrollierte. Zum anderen wirft die Staatsanwaltschaft Livedoors Management laut der Zeitung "Nihon Keizai" vor, 2004 den Umsatz aufgebläht zu haben, in dem Vermögenswerte von Töchtergesellschaften als Verkäufe bilanziert wurden. Das mutmaßliche Motiv: Geld für die Expansion einzuwerben. Analysten hatten die Schwäche von Livedoors Internetportal kritisiert.

Inwieweit Horie selbst in die Deals involviert war, ist bisher offen. Die Zeitung "Asahi" brandmarkte ihn allerdings unter Berufung auf ungenannte Quellen als Unterstützer des Plans. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht jedoch vorerst Finanzchef Ryoji Miyauchi. Horie selbst gelobte am Dienstagmorgen Aufklärung und die Fortsetzung seiner Expansionsgstrategie. Einen Rücktritt schloss er aus. Der Aktienkurs von Livedoor sank von Montag bis gestern am erlaubten Limit um 200 Yen auf 496 Yen. Doch auch zu dem Preis fanden sich keine Käufer. Auch andere Start-ups sind betroffen, weil die an den neuen Märkten oft geübte Strategie, durch Aktienswaps und -splitts an Wert zu wachsen mit dem Platzen der Livedoor-Blase nun bei den Kleinanlegern an Glaubwürdigkeit verloren hat. (wst)