Leben im Erdmantel

Das größte Tiefseebohrschiff der Welt hat seine erste Mission abgeschlossen.

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Von
  • Martin Kölling

Im Hafen der japanischen Kleinstadt Shingu herrscht Hochbetrieb. Kamerateams wimmeln über die Mole. Container krachen auf den Beton. Und an Bord eines Schiffsriesen an der niedrigen Kaimauer packen Wissenschaftler ihre Koffer. Das größte Tiefseebohrschiff der Welt, die "Chikyu", zu Deutsch: "Erde", hat gerade die erste Bohrmission zur Erforschung der Erde abgeschlossen. Es ist ein Forschungsschiff der Superlative, 210 Meter lang, 38 Meter breit, inklusive Bohrturm 130 Meter hoch und fähig, aus 2500 Meter Meerestiefe weitere sieben Kilometer in die Erde zu bohren. So tief wie kein anderes Schiff.

Die Wissenschaftler an Bord sind begeistert. "Die Chikyu ist wundervoll", schwärmt Daniel Curewitz, der als Projektmanager der japanischen Behörde für Meeres- und Erd-Wissenschaft und Technik (Jamstec) das Leben an Bord organisiert hat. Für eine Jungfernfahrt sei alles erstaunlich glatt gelaufen. Und Elizabeth Screaton von der University of Florida, die wissenschaftliche Co-Leiterin der letzten von drei Bohrmissionen der ersten Forschungsreise, meint: "Ich bin schon auf fünf Tiefseebohrungen gewesen, aber diese war am aufregendsten."

Das hat zum einen mit der Chikyu selbst zu tun. Der 2005 vom Stapel gelaufene und in zwei Testjahren einsatzreif verfeinerte Stolz der Jamstec hat als erstes Bohrschiff einen Computertomographen an Bord. "Ich kann nicht oft genug betonen, wie sehr der Computertomograph die Arbeit für uns Wissenschaftler verändert hat", sagt Screaton, "ich frage mich, wie viele Bruchzonen wir früher übersehen haben, als wir die Proben immer sofort geöffnet haben." Die Verwerfungen selbst besteht zwar aus meterweise zerstoßenem Gestein, aber die Grenze zwischen den Platten ist oft nur wenige Millimeter dick und könnte zerfallen, wenn man die Probe öffnet.

Curewitz erklärt die Vorzüge des CT-Scans im Detail: Die Bohrkerne müssen schnell untersucht werden, denn die möglicherweise vorhandenen Mikroben, die Kernflüssigkeiten und die Chemie der Materialien verändern sich unter den neuen Umweltbedingungen und dem Einfluss von Sauerstoff. "Mit dem CT-Scan können wir innerhalb von zehn Minuten in den Kern schauen, bevor wir irgendetwas mit ihm anstellen", sagt Curewitz. Der Mikrobiologe, der Geochemiker und der Strukturanalytiker können sich gemeinsam das gescannte 3D-Bild ansehen und so schnell entscheiden, welche Strukturen interessant sind und wo und wie der Bohrkern aufgeschnitten werden soll. Weiche Kerne können mit Folie umwickelt und so erhalten werden. Oder statt einer normalen Säge wird eine feine Säge gewählt, die statt mit Wasser mit Alkohol arbeitet. Damit wird das Aufquellen der Probe minimiert. "So geht kein wertvolles Material für Analysen verloren", erklärt Curewitz. Zudem folgt die Arbeit den gleichen Protokollen wie auf dem US-Bohrschiff Joides Resolution. Die Ergebnisse lassen sich daher sehr gut vergleichen.

Der zweite Grund für die Aufregung ist das Projekt "NanTroSEIZE" ("Nankai Trough Seismogenic Zone Experiment") selbst, unter dem die Mission abläuft. Es ist Teil des internationalen Programms für integrierte Ozeanbohrungen (IODP), zu dem auch die "Joides Resolution" gehört. Die Chikyu bohrte seit September 2007 in den Expeditionen 314, 315 und 316 vor der Küste Japans und brachte Bohrproben aus einer der gefährlichsten Erdbebenzonen der Welt mit nach Hause. Hier in der Nankai-Region südwestlich der Millionenstadt Nagoya schiebt sich die philippinische Platte unter die steil abfallende Festlandsplatte. Dort kann sich der Druck in einem Beben der Stärke acht und höher entladen. Auch Tsunamis drohen.

Einer der wertvollsten Schätze der jetzigen Expedition ist eine Bodenprobe aus einer Bruchzone, an der die beiden Platten in mehr als 1000 Metern unter dem Meeresboden aneinander reiben. Durch die Untersuchung der Bodenproben wollen die Wissenschaftler besser die Entstehung von Erdbeben in der Nankai-Region verstehen. Japan konzentriert große Ressourcen auf die Erforschung dieser Region, denn bei den letzten großen Beben, dem Tonankai-Beben 1944 und dem Nankai-Beben 1946, starben jeweils über 1000 Menschen. Heute ist die Region eine der wichtigsten Industriegegenden des Landes. So fertigt Toyota ein Großteil seiner Autos nahe Nagoya.

Schon die ersten Ergebnisse bergen Überraschungen für die Forscher. In einer Bohrung fanden sie zum Beispiel zwei statt der bekannten einen Bruchzone, sagt Gaku Kimura, der wissenschaftliche Co-Leiter aus Japan. Außerdem scheinen die Sedimente, die vor der japanischen Küste steil von zwei auf über vier Kilometer Tiefe abfallen, nicht sehr stabil zu sein und könnten daher im Falle eines Erdbebens leicht kollabieren. Auch ist die Temperatur des Tiefenwassers niedriger als angenommen. Daraus schließen die Forscher, dass kaltes Meerwasser stärker in der Region zirkuliert.

Darüber hinaus hielt die Erde für die Forscher eine besondere Überraschung bereit, verrät Projektmanager Curewitz: Leben im Erdmantel. Er selbst wäre erst skeptisch gewesen, ob sie wie auf anderen Bohrmissionen Mikroben im Gestein finden würden. "Aber wir hatten einige sehr interessante Funde", meint der Forscher. "Ich kann nicht viel sagen. Aber einer unserer Wissenschaftler ist sehr aufgeregt über das Material und hat mich gebeten, zunächst den Mund zu halten."

In den kommenden Monaten und Jahren werden nun Wissenschaftler auf der ganzen Welt die kilometerlangen Bohrproben genau analysieren. In ungefähr zwei Monaten werden die ersten vorläufigen Ergebnisse im Internet veröffentlicht, in einem Jahr Zwischenberichte. Danach wird es wohl noch ein bis zwei Jahre dauern, bis der Abschlussbericht zusammengetragen sein wird.

Die Chikyu wird währenddessen immer tiefer in die unerforschten Tiefen des Erdmantels vorstoßen. In der Stufe zwei von NanTroSEIZE soll sie sich in bis zu 3500 Meter Tiefe vorbohren. Für die dritte Stufe ist geplant, 6000 Meter tiefe Löcher zu bohren und ein Überwachungssystem in den Erdmantel hinunterzulassen. Im letzten Schritt sollen die Melder in den Löchern an ein Glasfaser-Messnetz am Meeresboden angeschlossen werden.

Der neuen Besatzungen stellt der zweite wissenschaftliche Leiter Kimura zwar große Abenteuer, aber auch einige Entbehrungen in Aussicht. "Die Arbeit ist großartig, leider ist die Chikyu aber ein trockenes Schiff." Alkohol ist an Bord strikt verboten. Die Besatzung konnte nicht einmal zu Sylvester auf das neue Jahr anstoßen. (bsc)