Ladehemmung im Stromnetz

Elektroautos sollen ein wichtiger Bestandteil des zukünftigen Energienetzes werden. Doch zuvor gilt es, grundlegende Probleme beim Stromtanken zu lösen.

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  • Christoph M. Schwarzer

Elektroautos sollen ein wichtiger Bestandteil des zukünftigen Energienetzes werden. Doch zuvor gilt es, grundlegende Probleme beim Stromtanken zu lösen.

280 Ampere. Die Anzeige auf dem riesigen Touchscreen des Tesla Model S ist begeisternd und beängstigend zugleich: Hier, an einem der 29 Supercharger in Deutschland, wird die 85 Kilowattstunden fassende Batterie mit Höchstgeschwindigkeit aufgeladen.

Kabel, so dick wie der Benzinschlauch an einer Zapfsäule, pumpen mit einer Ladeleistung von bis zu 135 Kilowatt Strom in den Speicher. In nur 20 Minuten ist er zur Hälfte gefüllt. Die zweite Hälfte dauert weitere 55 Minuten, weil Laden kein linearer Prozess ist. Es beginnt schnell und wird dann immer langsamer.

Von den Superchargern wird "im Moment alle 20 Stunden irgendwo auf der Welt einer eingerichtet", berichtet Elon Musk, Gründer des Elektroautoherstellers Tesla. Vor Ort, also zum Beispiel an einem Autohof, sehen die Fahrer davon zuerst die vier bis acht Ladeparkplätze. In direkter Nähe – folgen Sie dem Geräusch der Lüfter! – steht irgendwo ein unauffälliger Verschlag, hinter dem die Leistungselektronik arbeitet.

Die nötige Ladeleistung kann Tesla allerdings nicht aus jedem beliebigen Stromanschluss ziehen. An einer normalen Haushaltssteckdose mit ihren 2,4 Kilowatt würde das Aufladen mehr als 36 Stunden dauern. Also hängen sich die Supercharger ans Mittelspannungsnetz mit – je nach Region – 10, 15 oder 20 Kilovolt. Laut Tesla kommt es vielen Betreibern von Solarmodulen und Windrädern entgegen, wenn der Strom aus ihren Anlagen direkt vor Ort verbraucht werden könnte. Auch andere Highspeed-Ladesysteme wie die ChargeLounge des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart sind in Entwicklung.

Das Stromnetz als Ganzes verkraftet die neuen Tankstellen ohne Probleme. Das Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg (IFEU) hat errechnet, dass eine Million Elektroautos den Gesamtverbrauch in Deutschland nur um 0,3 Prozent erhöhen würden. Visionäre leiten daraus ab, dass die Elektromobilität eine wesentliche Rolle im Energiesystem der Zukunft spielen wird. In einem Smart Grid soll das batterieelektrische Auto zu einem Broker werden, der selbstständig und minutengenau Strom kauft und verkauft. Laden, wenn die Elektrizität billig und im Überschuss vorhanden ist. Einspeisen, wenn sie gebraucht wird.

Dieses Szenario ist keineswegs undenkbar, bislang aber kaum mehr als eine vielversprechende Idee. Denn noch steckt die E-Mobilität in scheinbar banalen Anfangsproblemen fest: unterschiedliche Steckerstandards, uneinheitliche Bezahlsysteme an den Ladesäulen, mangelnde Bereitschaft, Geld zu investieren.

Klassenprimus Tesla wirkt mit seinen Superchargern wie die große Ausnahme – aber das Engagement hat einen Haken: Das Unternehmen investiert zwar mindestens 250.000 Euro pro Standort, schätzen Fachleute. Doch die teuer geschaffene Infrastruktur steht lediglich den Besitzern eines Tesla Model S zur Verfügung, von dem in Deutschland bislang nur rund tausend Wagen zugelassenen sind. Modelle anderer Hersteller können dort nicht tanken. Mit Insellösungen wie dieser ist die Vision vom E-Auto als Teil des Stromnetzes nur schwer zu verwirklichen.

Das Fraunhofer IAO will daher einen anderen Weg gehen. Wissenschaftler um Florian Rothfuss entwickelten die ChargeLounge. Das ist, vereinfacht gesagt, eine leicht transportable und überall ans Drehstromnetz anschließbare Tankstelle für sämtliche Elektroautos plus Warte- und Konferenzraum: "Ziel der ChargeLounge ist es, ein Modell zu finden, mit dem man Schnellladen unabhängig von Förderungen und Subventionen betreiben kann", erklärt der Institutsdirektor für Mobilitäts- und Stadtsystemgestaltung.

Als Stromquelle genügt ein gewöhnlicher Drehstromstecker mit 32 oder 63 Ampere. Einen Anschluss dafür hat jeder Haushalt für den Elektroherd. Damit sich große Akkus trotz dieser vergleichsweise moderaten Stromstärke zügig laden lassen, haben sich die Fraunhofer-Ingenieure einen Clou ausgedacht: Im Technikraum der ChargeLounge befindet sich eine Pufferbatterie. Sie hält Energie für Nachfragespitzen vor, für die der Drehstromanschluss nicht ausreichen würde. Diese Peaks treten ohnehin nur kurz zu Beginn des Ladens auf.

Die Pufferbatterie ist skalierbar und hat eine Kapazität zwischen 50 und 150 Kilowattstunden: "Die finale Größe ist das Ergebnis eines Spiels mit mehreren Variablen", berichtet Florian Rothfuss. "Wir machen Simulationen, wann wie viele Autos mit welchem Strombedarf kommen." Um die Ladestationen günstig aufstellen zu können, setzen die Entwickler unter anderem auf eine Modulbauweise. Die zwei Hälften des ChargeLounge-Prototypen passen auf je einen Tieflader. Besonders interessant ist auch die Option, als Puffer eine gebrauchte Batterie aus einem Elektroauto zu nehmen, die für den mobilen Einsatz nicht mehr tauglich ist.

190.000 bis 250.000 Euro soll eine ChargeLounge kosten und Ladeplätze für vier Autos gleichzeitig bieten.Wenn alles klappt, wird 2015 eine Autobahnstrecke von Köln über Stuttgart bis München durch 15 ChargeLounges elektrifiziert sein, wobei der größte Abstand 82 Kilometer beträgt. Das Möbelhaus Ikea möchte seinen Kunden diesen zusätzlichen Service demnächst ebenfalls anbieten. In Verbindung mit einem Photovoltaik- oder Windpark kann die ChargeLounge sogar als Zwischenspeicher für erneuerbare Energie dienen.

Im Kleinen ist diese Variante schon heute möglich: Wer Solarmodule auf dem Dach hat, kann überschüssige Energie in seinem E-Auto speichern. Scheint die Sonne nicht, holt sich der Besitzer den Strom wieder aus der Batterie zurück. Die Idee ist bestechend: Elektrofahrzeuge dürften ähnlich wie heutige Benziner auch einen Großteil ihrer Zeit in der Garage oder auf dem Parkplatz stehen. Warum ihren teuren Akku also nicht anderweitig nutzen?

Auch hier zeigt sich jedoch, dass die Elektromobilität noch in den Kinderschuhen steckt. Bisher ist lediglich der japanische Chademo-Standard soft- und hardwareseitig fürs bidirektionale Laden ausgelegt. Damit stehen nur drei Elektroautos zur Wahl, will man das Fahrzeug gleichzeitig als Stromspeicher benutzen: die Mitsubishi-Modelle Outlander Plug-in-Hybrid und Electric Vehicle sowie der Nissan Leaf II.

Wer eins von ihnen besitzt, kann eine Mikro-Netzlösung des Hamburger Unternehmens e8energy nutzen, die mit Chademo-Ladestandard und Batteriepuffer arbeitet: Sie erlaubt Selbsterzeugern, ihren Strom mit einer Ladeleistung von zehn Kilowatt ins Auto zu schaffen. Das ist wesentlich wirtschaftlicher als die Netzeinspeisung. Umgekehrt kann Strom aus der Batterie des Elektroautos ins Hausnetz zurückfließen. Und wenn das Auto zum Fahren genutzt wird, springt ein stationärer Speicher mit zehn Kilowattstunden Kapazität ein. Das System kostet allerdings bis zu 48000 Euro netto.

Es ersetzt zwar den Wechselrichter, mit dem der Gleichstrom aus der hauseigenen Solaranlage oder dem Blockheizkraftwerk sonst in Wechselstrom fürs externe Netz umgewandelt werden müsste. Trotzdem ist "der Nutzen für Privatkunden noch eher ideell", gesteht Maximilian Vetter von e8energy. "Für mittelständische Betriebe gehen wir aber davon aus, dass sich eine solche Anlage nach drei bis sieben Jahre rechnet." Sie verfügen schlicht über mehr Fahrzeuge, um die 48000 Euro wieder hereinzuholen.

In Zukunft dürften sowohl die Preise der Lithium-Ionen-Batterien als auch der Leistungselektronik sinken. Damit wird die Zahl der Anwender deutlich wachsen – und könnte so die Stromnetze entlasten. "Wenn bestehende regionale Netze optimal genutzt werden, müsste nicht über massiven Trassenausbau nachgedacht werden", so Vetter. Den Trend zu batteriegepufferten Stromnetzen könnte eine zusätzliche Vereinfachung der Ladetechnik noch unterstützen: Forscher arbeiten an Systemen, mit deren Hilfe sich die Akkus von Elektroautos berührungslos, ohne lästige Kabel und Stecker, mit Strom speisen lassen: Eine stromdurchflossene Spule, etwa in den Garagenboden eingelassen, erzeugt um sich herum ein Magnetfeld, das in einer zweiten, in die Unterseite des Autos eingebauten Spule einen Strom induziert. Diese Form der Energieübertragung über die Luft steht kurz vor der Serienreife. Viele Autokonzerne arbeiten derzeit an der Technik, darunter BMW, VW, Daimler, Toyota, Nissan und Renault.

Zu Beginn wird das induktive Laden zwar relativ langsam erfolgen, doch bei Plug-in-Hybridautos mit geringer Batteriekapazität dürfte das kaum ins Gewicht fallen. Der Unterschied im Wirkungsgrad zu herkömmlichen Ladeverfahren beträgt nur etwa zwei Prozentpunkte. Und für die Akzeptanz der stromgetriebenen Fahrzeuge könnte es ein Vorteil sein, wenn sie statt klobiger Säulen oder Wallboxes nahezu unsichtbare Platten im Boden zum Energietanken benötigen.

Für die meisten Autofahrer ist es unzumutbar, sich mit den Fallstricken der Ladestandards und den Finessen der Integration ins Stromnetz auseinanderzusetzen. Optimal wäre es, wenn alles wie von selbst funktioniert. Die technischen Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Werden sie genutzt, wird das nicht nur den Fahrkomfort steigern – sondern zudem den Aufbau eines flexiblen, gut austarierten Energienetzes erleichtern. (bsc)