Heilsame Schnitte

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Von
  • Matthias Withopf

Endlich ist es geschafft. Das Wohl der Anwender hat gesiegt. Die erste Instanz hat ihre Entscheidung im Microsoft-Prozess verkündet, dessen Ziel es ist, kartellrechtliche Verstöße zu unterbinden und dadurch den Wettbewerb zu fördern.

Das Urteil - wenn es denn rechtskräftig wird - hätte weitreichende Folgen für Microsoft. Die offensichtlichste ist die Aufteilung in eine Firma für das Betriebssystemgeschäft und eine weitere für die übrigen Bereiche. Dagegen wehrt sich Microsoft vehement, der im Urteil gewählte Begriff ‘divestiture’ (Beraubung) drückt wohl am besten das Gefühl der Betroffenen aus.

Dabei halte ich andere Aspekte für viel entscheidender: neben Marketing-Anstandsregeln gibt es technische Folgen, denn keine Teilfirma darf Informationen der anderen verwenden, die nicht allgemein zugänglich sind. Außerdem sind alle Programmierschnittstellen herauszugeben, die die Interoperabilität mit Microsoft-Software auf dem Desktop gewährleisten. Dazu müssen ‘erforderliche Teile’ des Sourcecodes einsehbar sein.

Für Entwickler wären diese Konsequenzen durchaus von Vorteil. Endlich müsste Microsoft alle in den eigenen Anwendungen benutzten Schnittstellen jedem zugänglich machen. Aber eben nur die Schnittstellen, nicht die Implementierung. Gates’ Angst, damit den gesamten Windows-Quelltext an die Konkurrenz zu verlieren, ist wohl unbegründet. Beispielsweise sind zur Integration des Internet Explorer in eine Anwendung nur ein Dutzend Klassendefinitionen notwendig, nicht der gesamte Sourcecode des IE.

Nebenbei: Mit der engen Verquickung von Betriebssystem- und Anwendungssoftware steht Microsoft nicht allein. Apple und die meisten Unixhersteller haben nicht nur Betriebssystem und Anwendungsprogramme in der Hand, sondern zusätzlich noch die Hardware. Microsofts Problem liegt da eher in der Marktdominanz, getreu der populären Gleichung ‘groß gleich böse’.

Langfristig könnte die Zweiteilung für Microsoft sogar günstig sein, denn Softwareentwicklung ist ein komplizierter Prozeß, und mehr Struktur kann nur nützlich sein. Denn gerade in großen Firmen weiß oft die eine Projektgruppe nicht, was die andere drei Flure weiter tut. Formalere, gar offiziell verordnete Kommunikations- und Dokumentationsverfahren könnten da Wunder wirken, um unnötige Parallelentwicklungen und Inkompatibilitäten zu vermeiden.

Gemäß dem Urteil dürfte Microsoft nur noch Windows-Versionen ausliefern, bei denen jede Art von ‘Middleware’ - worunter das Gericht beispielsweise Office, Browser und Mailer versteht - entfernbar ist oder ganz fehlen kann. OEMs sollen eine anteilige Lizenzermäßigung nach Umfang des entfallenen Binärcodes enthalten. Weil im PC-Geschäft jede Mark zählt, muss man sich vielleicht demnächst mit einem vorinstallierten Windows Light herumschlagen, das zwar billiger ist, auf dem Programme aber nicht mehr richtig laufen, da bestimmte Komponenten fehlen. Nachdem Microsoft in Windows 2000 durch System File Protection, die quasi automatische Regeneration der betriebssystemrelevanten Daten - die Installationswirren verringert hat - könnte das den Anwender wiederum vom Regen in die Traufe bringen.

Matthias Withopf
ist Programmierer für Anwendungen unter Windows, Unix und Mac OS. (js)