Genre Solarpunk: "Wunderbare Vokabel, die Punk und das Thema Energie verbindet"

Im Projekt WindNode untersucht der Geisteswissenschaftler Ingo Uhlig, wie Kunst und Literatur die Themen Klimawandel und Energiewende behandeln.

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(Bild: jakkaje879/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Ingo Uhlig ist Geisteswissenschaftler mit einem Faible für Technologie. Er untersucht, wie Kunst und Literatur die Themen Klimawandel und Energiewende behandeln. Im Projekt WindNode hat er dazu unter anderem systematisch entsprechende Werke erfasst und aufbereitet. In seinem aktuellen Buch "Energiewende erzählen" zeichnet er nach, wie sich die Energieumbrüche der letzten 250 Jahre in Geschichten niedergeschlagen haben.

Sie haben beobachtet, dass sich "Dorf-Wind-Krimis" in den 2010er-Jahren zu einem eigenen Mini-Genre entwickelt haben – zum Beispiel Unterleuten von Juli Zeh. Was ist kennzeichnend für diese Romane?

Energiewende wird dort eher als ökonomisches Problem verhandelt und nicht als ökologisches. Es wird vor allem um Eigentum und Flächen gestritten, meistens im Blick zurück. Das kann man ernüchternd finden.

Ingo Uhlig hat Philosophie und Soziologie studiert. Er ist unter anderem Professor für Germanistik an der Uni Halle-Wittenberg und im Rahmen der 50Hertz-Gastdozentur "Neue Energiesysteme und Energiekulturen" an der TU Berlin tätig.

(Bild: Ingo Uhlig)

Aber diese Sicht ist doch berechtigt. Windparks lassen sich beispielsweise einfacher errichten, wenn das Dorf von den Erlösen profitiert.

Auf jeden Fall. In diesen Texten ist zu greifen, wo wir wirklich ein offenes Ohr haben sollten, wenn wir die Energiewende voranbringen wollen. Und man lernt die Strukturen kennen, die nicht gerade innovationsfreudig sind. Aber diese Lektion ist relativ schnell gelernt. Oft machen es sich diese Erzählungen ziemlich leicht, weil sie nicht die Frage stellen, wie wir in Dörfern eine gerechte ökologische Zukunft entwerfen können. Das ist weitaus komplexer als die Frage, wem ein Windpark gehört oder wer daran mitverdient.

International entwickelt sich gerade ein technikoptimistisches Genre namens "Solarpunk". Haben die Leute genug von Konflikten und Dystopien?

Solarpunk ist eine wunderbare Vokabel, die den Elan und die Innovationskraft des Punk mit dem Thema Energie verbindet. Aber dass sich dort gerade große Erzählungen entwickeln, sehe ich nicht. Mir scheint, das Label muss noch mehr mit Inhalten gefüllt werden. Der Epochenbruch ist technisch zum Greifen nahe, aber der kulturelle Puls schlägt gewissermaßen zu schwach, um Begeisterung zu entfachen.

Wie könnte das funktionieren?

Klimaschutz können wir nicht nur über Angst, Dystopie und Krise erzählen, sondern auch über neue Lebensmöglichkeiten, Chancen und Kollaborationen. Da gibt es im Moment so einiges – etwa "Was, wenn wir einfach die Welt retten" von Frank Schätzing und "Geboren für die großen Chancen" von Ullrich Fichtner. Das sind allerdings Sachbücher, keine Romane.

Sind Utopien literarisch vielleicht einfach zu langweilig?

Aufbruchphasen haben die Literatur schon immer fasziniert. In den Achtzigern hatten Umweltthemen durchaus eine gewisse Prominenz, zum Beispiel bei Peter Härtling oder Monika Maron. Damals war die Energiewende wirklich noch eine Bewegung, aber jetzt ist sie ein breites gesellschaftliches Geschehen. Das ist wahrscheinlich kein wirklich verführerischer Gegenstand für literarische Utopien. Interessant wird es dort, wo solche Zukunftsentwürfe Brücken bauen, wo sie Gegenwart und Zukunft zusammenfügen. Das ist absolut eine Kompetenz künstlerischer Zugänge – eben nicht nur die Einbildungskraft zu mobilisieren, sondern dabei auch genau hinzusehen, wenn es etwa bei der Gerechtigkeit Defizite gibt. Dieses synaptische Moment sehe ich gar nicht so sehr in den Utopien, sondern in Konzepten unserer Gegenwart. Aber Sie haben recht: Im Bereich der Literatur ist da wenig zu finden. Ich finde, dass "Rückwind" von Burkhard Spinnen die narrative Logik der ganzen Energiewende sehr gut analysiert. Aber das ist auch kein Zukunftsentwurf, eher ein analytischer Roman.

Leidet die Energiewende auch im realen Leben darunter, dass sie einfach schlecht erzählt wird?

Zum Teil ja. Aber sie hat auch einen ganz massiven Gegenpol. Es gibt immer noch starke Beharrungskräfte in der fossilen Welt. Narrative gedeihen in Kräfteverhältnissen, kein Narrativ ohne Gegen-Narrativ. Das haben wir an der Debatte um die Wärmepumpe gesehen, aber auch nach Ausbruch des Ukrainekriegs, als Erneuerbare plötzlich als "Freiheitsenergie" galten.

(grh)