Freiheit für Desktops

Wer unter Windows arbeitet, muss auf eine X11-Oberfläche nicht verzichten. Das Internet bietet dafür nicht nur X-Server, sondern jede Menge Tools - auch für die umgekehrte Richtung.

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Von
  • Stefan Mintert

Seit die Integration von Unix mit anderen Systemen Thema ist, besteht Interesse an der X-Umlenkung auf Windows- oder Macintosh-Oberflächen. Dank der Fähigkeit des X Window System, dies zu tun, muss ‘lediglich’ ein X-Server für die jeweiligen Systeme her. Neben kommerziellen Angeboten wird man bei kostenlosen Alternativen fündig. Gleiches gilt für die Umlenkung von Desktops anderer Art.

Die erste Adresse für X ist X.org. Selbstverständlich ist die Software dort zu finden, allerdings als Source-Code. Wer nicht selbst anfangen möchte zu compilieren, sollte auf andere Quellen zurückgreifen. In vielen freien Unix-Distributionen für Intel-Rechner wird XFree86 mitgeliefert. Auch für Windows gibt es Umsetzungen.

Unter cygwin.com/xfree/ steht eine Portierung von XFree86 zur Verfügung, die auf Cygwin basiert. Zu dem von RedHat entwickelten Projekt gehören auch andere bekannte Unix-Programme sowie die Bibliothek cygwin1.dll. Sie implementiert ein ‘Unix emulation layer’ in Form von Unix-APIs. Diese Vorgehensweise erleichtert die Portierung von Unix-Software. Zur Grundausstattung gehört mit bash, bison, gcc, gdb, groff, make, openssl, tcsh und anderen alles, was Rang und Namen hat.

Auf Cygwin setzt XFree86 für Windows auf. Vor der Installation des X-Servers muss Cygwin schon vorhanden sein. Eine ausführliche Installationsbeschreibung mit Screenshots präsentieren die zugehörigen Webseiten. Die Software macht einen stabilen Eindruck, einzig die Zusammenarbeit per XDMCP (X Display Manager Control Protocol) mit einer Sun unter Solaris bereitet Probleme. Laut FAQ liegen diese auf der Solaris-Seite.

Die vorkonfigurierte Umgebung startet auf dem Windows-Rechner einen twm. Wer ein anderes Look & Feel bevorzugt, kann entweder auf einem entfernten Unix-Host einen anderen Window-Manager suchen oder hier (http://dao.gsfc.nasa.gov/software/grads/win32/X11R6.3/) nachsehen. Dort gibt es eine Reihe von Binaries für Cygwin. Darunter einen fvwm und einen mwm; des Weiteren xmkmf, imake, bitmap, xclock, xterm, rxvt, libX11.a, libX11.dll, LibXm.a, libXaw.a, libXaw3d.a, libXpm.a und anderes.

Eine Alternative zu Cygwin/XFree86 ist Win32-X11. Den Download der Binärdistribution verweigerte der FTP-Server leider. In diesem Fall bietet sich ein Blick auf die Mirror-Liste an. Hier klappte es.

Ziel des Projekts ist ein X11R6.5.1 kompatibler X-Server für Windows 9x/NT, der auf GDI/DirectX basiert. Erste Tests erwecken den Eindruck einer besseren Performance gegenüber Cygwin/XFree86. Möglicherweise, weil sich Win32-X11 nicht auf die Cygwin-Bibliotheken stützt. Im Web sind Hinweise zur Kompilierung mit MingW32/GCC-2.9.5.2 (Minimalist GNU For Windows) und Microsoft Visual C++ 6.0 zu finden. Im praktischen Einsatz kommt man allerdings kaum ohne die Cygwin-Tools aus.

Neben dem Cygwin-Home gibt es einige Links zu ‘GNU Win32 related projects’ unter dieser Adresse (http://www.xraylith.wisc.edu/~khan/software/gnu-win32/). Besonders interessant ist dort die Sammlung von IDEs und GUIs für den GCC unter x86-win32. Insight ist ein in TCL/TK geschriebenes grafisches Frontend für den GNU Debugger (GDB); eine Cygwin-Portierung ist verfügbar.

Wer neben dem X-Server und dem Window-Manager weitere X-Programme unter Windows laufen lassen möchte, findet hier eine Sammlung (http://www.dol.ru/users/valtul/). Neben NEdit sind dort der Afterstep-Window-Manager und das Grafikprogramm XV zu finden. Eine umfangreiche Link-Sammlung (nicht nur zur Kombination X/Win32) bietet www.rahul.net/kenton/xsites.html.

Bis hier ging es ausschließlich darum, Unix-Software auf Windows-Systemen laufen zu lassen. Für die andere Richtung gibt es zum Beispiel XWinX, das den Windows-Desktop unter X zur Verfügung stellt. Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen; die Version 0.03 vom November 2001 steht zum Download bereit (Binary oder Source sowie aktuelle Zustände im CVS-Repository).

Auch Macintosh-Anwender sollen nicht zu kurz kommen. Die Firma Microimages bietet einen X-Server für Macintosh (http://www.microimages.com/freestuf/mix/macindex.htm) (PowerPC und 68K) online an. Im Gegensatz zur Macintosh-Variante ist das Schwesterprodukt für Windows nicht kostenfrei erhältlich. Mit ihrer freien Macintosh-Version hat es Microimages aber immerhin geschafft, in diese Auflistung aufgenommen zu werden.

Relative Unabhängigkeit von einem Betriebssystem erreicht man mit einem in der Java Virtual Machine laufenden X-Server. Ein Beispiel ist www.jcraft.com/weirdx/, der in Kombination mit einem SSH-Client als ‘Browser embeddable remote secure X access in Java’ (http://www.tam.cornell.edu/Computer/remoteaccess/weirdmind/) angeboten wird.

Gerade bei Lehrveranstaltungen gehört es zu den üblichen Anforderungen, Desktops mit anderen Anwendern zu teilen. Ein ‘X-Protokoll-Multiplexer’ ist XMX. Die Website spricht von einer WYSIWIS-Umgebung (What You See Is What I See).

Von den AT&T-Labs in Cambridge, England, kommt eine Software, die von ihrer Architektur her endgültige Freiheit für die Desktops schafft. Das unter der GNU General Public Licence frei erhältliche VNC (Virtual Network Computing) lässt einen Desktop nahezu jeder Art auf fast jedem anders gearteten erscheinen. X unter Windows und Windows unter X ist nun unspektakulär. Ein Blick auf die Screenshots zeigt aber auch einen Unix-Desktop auf einem Macintosh, implementiert in Java. Die Java-Lösung erlaubt die Arbeit mit einer Windows-Maschine auf dem Mac. Die ultimativen Kombinationen zeigen Abbildungen von einem X-Desktop im Internet Explorer auf einem PC oder einem Windows-Desktop in Netscapes Navigator auf einer Unix-Workstation.

Die Architektur von VNC setzt auf einen eigenen VNC-Server, einen VNC-Client und ein VNC-Protokoll, über das beide miteinander reden; ein Umstand, der auf der XWinX-Seite übrigens als zu aufwendig bezeichnet wird. Jedoch scheint die Architektur für weit gehende Flexibilität zu sorgen. Plattformen, die die Entwickler nicht selbst unterstützen, werden von Außenstehenden mit VNC-Viewern und -Servern bedacht. Auf der entsprechenden Webseite finden sich einige Systeme wieder, die (zum Teil leider) lange dem Mainstream entkommen sind - oder nie dazugehörten. Dazu zählen beispielsweise der Amiga (VNC-Server und -Client sowie X11-Server), Acorn RISC OS (http://www.bigblue.demon.co.uk/VNC.html, http://www.brighteyes.u-net.com/html/download.html#VNCViewer und der Server unter http://www.corkes.net/vnc/) und OpenStep/Mach. Interessant auch die Portierungen für EPOC (Psion http://www.imhotek.com/downloads/epoc_vnc.zip), GEOS (Nokia 9k), Palm (http://www.btinternet.com/~harakan/PalmVNC/, http://www.ICSI.Berkeley.EDU/~minenko/PalmVNC/) und Newton. Die Linux-Single-Floppy-Variante, die es erlaubt, einen 486er ohne Platte in ein X-Terminal zu verwandeln, wird leider nicht mehr gepflegt, mag aber dennoch den ein oder anderen interessieren (http://www.khk.net/lods/).

Sollte in unserer Auflistung Software für das Desktop-Sharing mit irgendwelchen esoterischen Systemen fehlen, wird hoffentlich unser Online-Forum bald die zugehörigen URLs enhalten... (ka)