Ernüchternde Bilanz

Für die 9/11-Kommission der US-Regierung haben sich die Milliardenausgaben für neue Sicherheitstechnologien bislang nicht ausgezahlt.

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Von
  • David H. Freedman
  • Dennis Hingst

Für die 9/11-Kommission der US-Regierung haben sich die Milliardenausgaben für neue Sicherheitstechnologien bislang nicht ausgezahlt. Die Bürokratie behindert deren Potenzial, während durchschlagende Innovationen ausgeblieben sind.

Vor zehn Jahren veränderten die Anschläge vom 11. September 2001 die Weltpolitik – und auch den Einsatz von Sicherheitstechnologien durch US-Behörden. Seit damals hat sich das Budget für nachrichtendienstliche Aufklärung in den USA auf rund 80 Milliarden verdoppelt, sind 263 Behörden umstrukturiert oder neu gegründet worden, ist ein Ministerium für Heimatschutz mit einem Etat von 50 Milliarden Dollar aufgebaut worden. Doch die Bilanz all dieser Maßnahmen ist ernüchternd.

Ein neuer Report der 9/11-Kommission zeigt: Trotz einiger Fortschritte „sind wesentliche Empfehlungen der September 11-Kommission nicht umgesetzt, weshalb die USA nicht so sicher dastehen, wie sie könnten oder sollten.“ Vor allem habe es trotz der massiven Ausgaben keine technischen Durchbrüche auf dem Gebiet der Sicherheitstechnik gegeben. „Im Wesentlichen sind gängige Marktprodukte eingesetzt worden“, beklagt James Jay Carafano, Direktor des Center for Foreign Policy Studies in der Heritage Foundation. „Wichtiger als neue Technologien war die Aufklärung und Maßnahmen gegen den Terrorismus.“

Flughafen-Sicherheit

Dem Report zufolge kommen die Verbesserungen beim Aufspüren von Sprengstoffen und Waffen in den Flughafenkontrollen zu langsam voran. Die eingesetzte Technik sei „nicht zuverlässig und schafft es nicht, versteckte Waffen und Sprengstoffe automatisch aufzuspüren.“ Seit an 78 Flughäfen in den USA rund 500 Körperscanner eingesetzt werden, habe sich die Situation zumindest etwas entspannt. Allerdings haben die Körperscanner eine hitzige Debatte über die Privatsphäre von Flugreisenden ausgelöst.

Bei älteren Kontrollgeräten seien die 2010 festgelegten neuen Standards, wie empfindlich die Maschinen reagieren sollten, noch nicht umgesetzt, stellt der Report fest. Viele arbeiteten nach wie vor mit einer veralteten Technik. Die Sprengstoff-Detektoren seien geradezu beschämend wirkungslos, weil Schadstoffe in der Umgebungsluft sie zu leicht verschmutzten.

All diese Fehlschläge dürften es schwerer machen, für die Entwicklung neuer Sicherheitssyteme Fördergelder zu bekommen, befürchtet Rob Strayer, Direktor der National Security Preparedness Group am Bipartisan Policy Center. Dabei hätte man die jetzige Situation eigentlich leicht vermeiden können. Doch die Sicherheitsindustrie habe den Unterschied zwischen militärischen und zivilen Anwendungen der Technik nicht begriffen: Wenn die Öffentlichkeit von ihr direkt betroffen sei, müsse sichergestellt sein, dass die Technik zuverlässig und in einem zumutbaren Rahmen funktioniert, sagt Strayer. „Das Heimatschutz-Ministerium ordnet zu schnell den Einsatz von Geräten an, die noch nicht gründlich getestet worden sind.“

Data-Mining

Der Einsatz von Data-Mining-Verfahren, die in Datenmassen relevante Informationen – etwa über mögliche Anschläge – aufspüren sollen, schneidet in dem Report besser ab. „In den vergangenen zehn Jahren hat man beim Data-Mining von sozialen Netzwerken und anderen Datenquellen große Fortschritte gemacht“, urteilt Rohini Srihari, Informatiker an der State University of New York in Buffalo. Die von ihm gegründete Data-Mining-Firma Janya war an verschiedenen Aufträgen der US-Regierung beteiligt.

Inzwischen gebe es Supercomputer, die all die Daten aus Facebook, Twitter, Blogs und zahllosen Webseiten mühelos verarbeiten könnten, und das in verschiedenen Sprachen, sagt Srihari. Die Maschinen könnten Verbindungen zwischen Menschen, Orten und potenziellen Bedrohungen knüpfen. Eine Herausforderung sei noch die Analyse von Inhalten, bei der der Kontext einer Äußerung oder umgangssprachliche Ausdrücke zu berücksichtigen seien.

Doch auch hier sieht Srihari Fortschritte, vor allem in der Emotionserkennung in den Äußerungen, die Nutzer online machen. Hier könnten Sicherheitsanalysten bereits aus der Fülle von Kommentaren, in den Menschen ihrem Ärger Luft machen oder mögliche Anschlagsziele wie Flughäfen erwähnen, den Kreis verdächtiger Personen eingrenzen, so Srihari. Schwieriger sei es mit Daten, die sich nicht aus dem Netz ziehen lassen. „Die Art von Leuten, die einen Anschlag wie 9/11 planen, werden dazu wohl kaum etwas auf Twitter schreiben“, sagt Srihari.

Richard Bloom von der Embry-Riddle Aeronautical University weist jedoch daraufhin, dass Fehlalarme oder übersehene Daten einen großen Schaden anrichten könnten. „Selbst wenn wir in nur einem Prozent der Fälle nicht richtig liegen, können uns Übeltäter entkommen“, ärgert sich Bloom. „Umgekehrt hat es gravierende gesellschaftliche Folgen, wenn Unschuldige fälschlich als Übeltäter abgestempelt werden.“

Video-Überwachung

Große Hoffnungen werden in Video-Überwachungssysteme gesetzt, die mit Bilderkennungsverfahren gekoppelt sind und so Personen, die sich verdächtig benehmen, aufspüren sollen. Obwohl daran gearbeitet werde, seien diese Systeme noch zu ungenau, um zu mehr Sicherheit beizutragen, findet Bloom. Effektiver sei da die Methode der israelischen Sicherheitsbehörden, Passagiere vor dem Flug von geschultem Personal befragen zu lassen. Inzwischen gehen auch US-Flughäfen dazu über, auffällige Personen statt mit Video-Computersystemen mit Hilfe des psychologischen Blicks von Experten zu entdecken. „Es ist aber nicht damit getan, einfach nur gestresst wirkende Leute herauszupicken“, sagt Bloom. „Die meisten Menschen, die an einem Flughafen gestresst erscheinen, sind keine Terroristen.“

Der Bericht der 9/11-Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Landesgrenzen der USA noch zu löchrig sind. Die Sensor-Netzwerke, die an Küsten und an der Grenze installiert wurden, hätten die Erwartungen nicht erfüllt, sagt James Carafano. „Wir arbeiten immer noch an Sensoren, die empfindlich genug sind, und an Verfahren, um die von ihnen gelieferten Daten zu interpretieren.“ Besonders anfällig seien die USA für biologische Waffen, fügt Carafano hinzu. Hier habe die Technik eher zu neuen Bedrohungen beigetragen, als sie zu entschärfen. „Mit jedem neuen Medikament, das noch wirksamer verabreicht werden kann, schaffen wir auch eine neue Möglichkeit, noch gefährlichere B-Waffen zu entwickeln“, sagt Carafano. „Wir brauchen noch brillantere biotechnische Abwehrmaßnahmen.“

Zumindest ist die Technik laut Report nicht für die Kommunikationsprobleme zwischen den verschiedenen Behörden verantwortlich. Das sei ganz klar ein Organisationsproblem, meint Rob Strayer. „Es geht darum, dass sich ranghohe Sicherheitsbeamte auf bestimmte Verfahren einigen“, fordert er. „Bisher neigten sie dazu, Systeme zuerst für ihre jeweils eigenen Anforderungen einzusetzen. Sie hätten sich besser damit beschäftigen sollen, wie sie diese Systeme mit denen der anderen Behörden zu einem Ganzen verbinden.“ Doch eine technische Lösung für Bürokratie und das Denken in Eigeninteressen hat bis heute niemand gefunden.

Bürokratisch und ineffizient

Auch aus der Wissenschaft selbst gibt es mittlerweile harsche Kritik an der Sicherheitsforschung nach dem Anschlag vom 11. September 2001. So schreibt der Nuklearphysiker und emeritierte Professor des Londoner King’s College, Peter D. Zimmerman, in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature, das Heimatschutzministerium (DHS) habe sich als unkoordiniert sowie ineffizient erwiesen, und können praktisch keine anwendbaren Ergebnisse vorweisen.

Als Beispiel für die schlechte Koordination innerhalb des DHS nennt Zimmerman die Entwicklung eines Systems gegen den Schmuggel mit radioaktiven Stoffen. Das Projekt scheiterte – unter anderem, weil die Forscher nicht einmal mit der Grenzschutzbehörde abgesprochen hatten, ob die Anlagen räumlich überhaupt in die Häfen des Landes passen würden.

Dabei wurde die Forschungsabteilung Science & Technology (S&T) des DHS seit 2001 mit rund 60 Milliarden Dollar finanziert. Zimmerman bemängelt, das Geld sei aber vor allem an die staatseigenen Labore des Energieministeriums geflossen. Durch eine Verteilung auf verschiedene universitäre Einrichtungen und Forschungsabteilungen privater Unternehmen hätte man viel mehr Wissen aus verschiedenen Bereichen nutzen können, anstatt sich auf das Know-How einer einzigen Einrichtung zu verlassen.

Ein Grund für diese Probleme ist laut Zimmerman die fragwürdige Zusammensetzung der Behörde, die seiner Ansicht nach von Anfang an nicht als Einheit funktionieren konnte. Unter dem Dach des neu gegründeten Ministeriums fusionierten damals 22 ehemals eigenständige Behörden mit teils sehr verschiedenen Aufgaben, die plötzlich zusammenarbeiten sollten. Darunter waren die Einwanderungsbehörde, Zoll- und Verkehrsbehörden, aber beispielsweise auch der Secret Service. Dessen Aufgabe ist es eigentlich, den Präsidenten zu schützen und die Verbreitung von Falschgeld zu verhindern. Am Ende kam das drittgrößte Ministerium der Vereinigten Staaten heraus. Die über 200.000 Mitarbeiter und sehr vielen verschiedenen Aufgaben verhindern die effiziente Zusammenarbeit, sagt Zimmerman.

Seine Ansicht teilt auch David Relman. Der Mikrobiologe an der Stanford University in Carolina war maßgeblich an den Forschungen im Bereich der Biowaffenverteidigung beteiligt und sagt: „Wir wussten damals nicht wirklich, was wir eigentlich brauchten, und wir wussten auch nicht, wie schwer es sein würde, diese Dinge zu entwickeln.“

Der Milzbrand-Schock

Eine „kolossale, ineffiziente Zeitverschwendung“ sei das DHS, meint auch Joan Johnson-Freese, Professorin am Naval War College in Newport vorige Woche im Online-Magazin „AOL Defense“. Wie ineffizient genau, rechnet Erika Hayden, Nature-Journalistin und Dozentin an der University of Carolina in Santa Cruz, vor. Aus dem 60 Milliarden Dollar schweren Forschungsetat seien insgesamt nur etwa zwölf Milliarden direkt in die Bioabwehr-Forschung geflossen. Ein Erfolg des DHS sei es zwar, dass die Vereinigten Staaten nun unter anderem über einen Vorrat von fast 30 Millionen Impfdosen gegen Milzbrand sowie rund zwei Millionen Medikamente zur Behandlung von Pocken, Milzbrand und Botulismus verfügen. Für andere gefährliche Krankheiten gebe es solche Vorräte aber nicht. Noch dazu ist der Milzbrand-Impfstoff eigentlich veraltet und mit teils schweren Nebenwirkungen verbunden. Zur Vorsorge wird er von Experten nicht empfohlen, sodass er nur im Notfall zum Einsatz kommen kann.

Dieses Problem ist schon länger bekannt. Thomas L. Rempfer vom Center for Homeland Defense and Security der Naval Postgraduate School in Monterey hat sich 2009 in seinem Paper „The Anthrax Vaccine: A Dilemma for Homeland Security ” damit beschäftigt. Dort beschreibt er, dass die Probleme mit dem Impfstoff lange bekannt gewesen seien, man aber angesichts einer drohenden Anschlagswelle keine andere Wahl gehabt habe, als den veralteten Impfstoff wieder zu produzieren. Die Entwicklung einer Alternative ist bis heute nicht gelungen.

Durch den überstürzten Aufbau des gewaltigen Ministeriums und den dadurch bedingten Mangel an einer durchdachten Strategie war das DHS wohl von Anfang an nicht in der Lage, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Und es sieht auch nicht so aus, als würde sich das noch ändern. Der aktuelle Haushaltsentwurf der US-Regierung für 2012 sieht eine Budget-Kürzung von 81 Prozent für die S&T-Abteilung vor und dürfte die ohnehin unergiebigen Forschungsaktivitäten so praktisch beenden. (nbo)