Ehemaligen-Treffen der MIT-Hacker

Für Studenten am MIT gehört es zum guten Ton, mit kreativen Aktionen ("hacks") die Uni-Verwaltung bloßzustellen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Stephen Eschenbach

In der Sprache des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist ein "Hack" ein von Studenten durchgeführter Streich - ein kleiner Scherz, dessen Opfer zumeist die Universitätsverwaltung ist. Einige Ex-Studenten und Kommilitonen an der Uni nehmen die Kunst der MIT-Hacks jedoch so ernst, dass sie ganze Bücher zum Thema verfassen. Das jüngste Werk dieser Art nennt sich "Nachtarbeit" und enthält unter anderem eine Art Nachruf auf die bekannte Scherzbold-Gruppierung "Technology Hackers Association", kurz THA.

Allerdings ist auch dieser Nachruf, der die THA für "aufgelöst" erklärt, nichts anderes als ein MIT-Hack. Ich weiß das sehr genau, weil ich selbst Mitglied der THA bin und wir just in diesem Mai in einem Hobbyraum in einer Kirche von Cambridge den 25. Geburtstag unserer Organisation feierten.

Oberflächlich wirkte das Klassentreffen wie ein ganz gewöhnlicher Abend mit Freunden - er hatte so gar nichts von dem geheimnisvollen Treiben, das man mit Uni-Geheimbünden assoziiert. Verdächtig war nur eine Sammlung von Schlössern auf einem Tisch: eine veritable Historie all jener Hardware, die in den letzten 50 Jahren die Labors, Büros und Dächer des MIT vor unbefugten Eindringlingen schützen sollte.

Ein Tisch voller Schlösser, an der man sein Sperrtechnik-Geschick ausprobieren kann, wäre bei den meisten Ehemaligen-Treffen zumindest ungewöhnlich. Aber die Sammlung ist ein gutes Symbol für das, was die THA seit einem Vierteljahrhundert zur feinsten Hacker-Vereinigung des MIT macht.

Seit ihren bescheidenen Anfängen im "New House"-Wohnheim im Jahre 1980 entwickelte sich die Technology Hackers Association zum Hauptbewahrer einer der wichtigsten Traditionen am MIT. Ohne die THA hätten einige Hundert MIT-Hacks wohl nie statt gefunden - obwohl die THA natürlich nie offiziell zugab, an ihnen beteiligt gewesen zu sein.

Von gut 230 Mitgliedern (von denen jeweils immer nur rund 10 Prozent wirklich aktiv sind), trafen sich in Cambridge einige Dutzend. Sie kamen aus dem ganzen Land und feierten eine Vereinigung, die sich notwendigerweise außerhalb der formalen Grenzen der MIT-Gemeinschaft bewegen muss. Wie so häufig bei solchen Treffen war eine Trennlinie zwischen den Generationen zu spüren. Während sich die Älteren an alte Zeiten erinnerten und ihre Hacks ganz offen diskutierten, hielten sich die aktuellen Studenten zurück. Und diejenigen, die doch etwas sagten, wollten anonym bleiben.

Laut dem THA-Gründer Bryan Bentz entstand die Vereinigung als Reaktion auf eine MIT-Tradition namens "Freshman Shower Night", bei der ältere Studenten die Erstsemester in der Nacht vor ihrer ersten Physikprüfung unter die Dusche stellten. Bentz, damals kurz vor dem Uni-Abschluss, organisierte den Widerstand der Erstsemester. "Ich setzte mich instinktiv gegen diese Form der Schikanierung ein", erklärt er.

Aus den Erstsemestern und einigen Studenten älterer Jahrgänge entstand schließlich die THA. "Ich wollte ein bisschen Spaß in mein Leben bringen", sagt Bentz. Die Mitgliedschaft sollte auf Lebenszeit bestehen, entschied er. Die Mitglieder erhielten Mitgliedskarten und Mitgliedsnummern; Bentz selbst bekam die 100. Durch die Mitgliedsnummern ließ sich eine gewisse Anonymität erreichen - THA-Mitglieder sprechen sich auch heute noch untereinander mit ihrer Nummer an.

Der erste Hack der THA fand im Februar 1980 statt. John Pitrelli, THA-Mitglied Nummer 101, erzählt, dass man damals eine riesige Sowjetflagge mit der Aufschrift "Stop the Draft" vom fünften Stock des Studentenzentrums fliegen ließ, um gegen die Bemühungen der US-Regierung, ein Rekrutenverzeichnis anzulegen, zu protestieren.

Der erste THA-Hack, der auch außerhalb des Campus für Aufmerksamkeit sorgte, war eine vollfunktionstüchtige Telefonzelle, die 1982 auf das Dach des "Great Dome" der Universität gestellt wurde. 1985 parkte die THA einen alten Fiat (der Mitglied Nummer 133 gehörte) in einer Lobby und baute den dort befindlichen "Infinite Corridor" zu einer Mautstation um, für deren Passierung 16.000 Dollar (die damaligen Kosten für ein Studienjahr) verlangt wurden. Im nächsten Jahr platzierte die THA schließlich einen improvisierten Schlafsaal mit der Raumnummer "10-1000" auf dem "Great Dorm", um auf Wohnungsnot unter den Studenten aufmerksam zu machen.

Zwischen diesen groß angelegten Hacks, die jeder mitbekam, gab es zahlreiche kleinere,. In den frühen Achtzigerjahren existierte beispielsweise eine funktionierende Telefonleitung auf der Kuppel der Lobby Nummer 7, über die Studenten Mama und Papa anrufen konnten. Die THA wurde mehr und mehr zu einem Sammelbecken für all jene, die mit den konventionellen studentischen Aktivitäten nichts anfangen konnten.

"Nachdem ich Mitte der Achtzigerjahre einige stressige Tage lang an Trinkgelagen teilnehmen musste, ging ich bei einer so genannten "Orange Tour" mit, bei der man nachts Dächer und andere verbotene Orte des MIT erkundete. Ich bekam Zugang zu einer ganz neuen Welt", sagt THA-Mitglied 221, heute ein aufstrebender Professor an einer prestigeträchtigen US-Westküsten-Universität. "Die THA hat mir enorm dabei geholfen, Selbstvertrauen aufzubauen, Erfahrungen zu sammeln und zu lernen, wie man andere Menschen führt", sagt er. Heute leitet Nummer 221 eine Forschergruppe und meint, dass ihm das "beschleunigte Projektmanagement-Training" bei den MIT-Hacks sehr zugute kam.

Der bekannteste Hack der THA benötigte tatsächlich enorm viel Projektmanagement-Erfahrung: Man hievte im Jahr 1994 ein Fahrzeug der Campus-Polizei auf das Dach des "Great Dome". Obwohl die THA grundsätzlich jegliche Verantwortung für ihre Hacks abstreitet, gab es auf dem Treffen in Cambridge gleich mehrere Mitglieder, die ihre Geschichten bereitwillig erzählten.

Jeff Bigler (Mitgliedsnummer 205), gab zu, einer der Köpfe hinter dem Hack gewesen zu sein. "Alles begann damit, dass Mitglied 248 ein Polizeiblaulicht auf einem Flohmarkt kaufte. Wir dachten gleich, dass man damit etwas anfangen konnte", erzählt er.

Es dauerte zwei Jahre, bis das Projekt herangereift war. "Nummer 249 und ein paar andere Leute gingen auf einen Schrottplatz und zahlten einem Typen 100 Dollar, um einen alten Chevy Cavalier benutzen zu dürfen", berichtet Bigler. Danach brauchte man nur noch knapp drei Monate bis zur Realisierung. "Wir lagerten die Autoteile im Keller des Senior-Wohnheims und trugen sie dann in Raum 2-190, um an einem Rahmen für das Fahrzeug zu arbeiten." Angst, in dem offen zugänglichen Vorlesungssaal aufzufallen, hatte die Truppe nicht: "Wenn jemand hereinkam, sah er nur ein paar Jungs, die an Autoteilen schraubten. Das war am MIT nicht besonders ungewöhnlich."

Es brauchte viel Koordination und Durchhaltevermögen, um den Plan umzusetzen. Die Truppe benötigte drei Versuche, um das Auto auf den "Great Dome" zu setzen. Eines der Probleme: Eine zweieinhalb Meter hohe Betonbarriere trennt die Kuppel vom Rest des Daches, was den Zugriff erschwerte. "Dave Krikorian, Mitglied Nummer 180, entwickelte dann Rollen aus Holz. Danach ging alles ganz schnell."

Die THA-Mitglieder waren allerdings nicht darauf vorbereitet, wie viel mediale Aufmerksamkeit ihre Aktion erregen würde. Bis 8 Uhr morgens am nächsten Tag hatte sich eine große Menge Fotografen und Reporter vor dem "Great Dome" eingefunden. Fernsehsender übertrugen Bilder von dem Hack ins Land, Fotos tauchten in Zeitungen auf der ganzen Welt auf. Das Auto selbst wurde schließlich zu einem Ausstellungsstück im MIT-Museum.

Hätte ein solcher Streich auch ohne eine Truppe wie die THA stattfinden können? Bigler verneint. "Unsere Gruppe hatte bereits einige MIT-Hacks hinter sich, und mit jedem neuen wurden sie komplexer", sagt er. Mitglied Nummer 221 sieht das ähnlich: "Die THA sorgt dafür, dass die Lektionen, die man bei früheren Hacks lernt, im kollektiven Gedächtnis bleiben. So muss der Nachwuchs nicht mehr bei Null anfangen."

Für die meisten Mitglieder ist die Geheimniskrämerei der Gruppe durchaus von Bedeutung. "Es ist wichtig, dass man bei Nachforschungen plausibel verneinen kann, überhaupt teilgenommen zu haben", erklärt Nummer 221. "Wenn die Mitgliedschaft bekannt wäre und die Hacks öffentlich bestimmten Leuten zugeordnet werden könnten, wüsste das MIT, wen es zu bestrafen hätte."

Auch deshalb bekennt man sich nicht öffentlich zu seinen Aktionen. "Eine Organisation, die nicht länger existiert, kann auch keine neuen Hacks durchführen", sagt der aktuelle Chef der THA, den alle nur den "Kanzler" nennen. "Außerdem nehmen auch Nichtmitglieder an unseren Hacks teil. Das dann THA-Hacks zu nennen, wäre falsch, weil ja auch andere Leute mitgemacht haben."

Das Ergebnis dieser Geheimhaltung: Die THA kann nicht wirklich über ihre größten Taten berichten. Zugleich führt die Existenz im Schatten aber auch zu einer Mystifizierung. Deborah Douglas, Kuratorin am MIT Museum, fasst es so zusammen: "Die Gruppe ist die MIT-Version von Skull and Bones." Doch das ist ein etwas übertriebener Vergleich: Die Ivy League-Geheimorganisation, mit ihrer 173 Jahre alten Tradition und Verbindungen zu beiden Präsidentschaftskandidaten des Jahres 2004, trifft auf eine 25 Jahre alte Gruppe, deren Vorstellung von einem spaßigen Abend das Herumklettern auf Hausdächern ist. Der Kanzler der THA sieht entsprechend wenig Gemeinsames: "Die einzige tatsächlich Ähnlichkeit liegt im Element der Geheimhaltung."

Trotzdem kommt man beim Blick auf die THA-Mitgliedsliste ins Grübeln. Darauf findet man unter anderem Ärzte, einen Anwalt, Professoren (auch vom MIT), einen bekannten TV-Moderator, einen hochrangiger Manager einer großen europäischen Bank und einen Software-Unternehmer. Vielleicht ist der Vergleich mit Skull and Bones also doch nicht soweit hergeholt: Auch die THAler halten ihre Mitgliedschaft für einen wichtigen Baustein ihrer Karriere. Es bleibt zu hoffen, dass die THA auch in den nächsten 25 Jahren noch "aufgelöst" sein wird.

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Stephen Eschenbach ist freier Journalist. Von 1983 bis 1987 studierte er am MIT. (sma)