Drei Räder im B2B: elektrische Dreiräder in Indien

Dreirädrige Kleintransporter boomen in Indien, getrieben durch Urbanisierung, Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Wir sprechen mit dem Dreirad-Startup 3ev.

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(Bild: 3ev)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Clemens Gleich

Die in Indien bisher vorherrschenden motorisierten Zweiräder und die anhand steigenden Wohlstands langsam erschwinglich werdenden Vierräder-Autos nutzen die Leute wie bei uns stark als persönliche, private Fahrzeuge. Dazwischen existiert jedoch ein riesiger Markt der Kleintransporter für Personen und Güter. Diese Transporter sind meistens Dreiräder. Kosteneffizienz bestimmt den Markt. Und bei den Kosten über die Fahrzeug-Lebenszeit sieht sich das Start-up "3ev" gut aufgestellt: Die elektrischen Dreiräder sollen bei kompetenter Anwendung einen signifikanten Teil der Kosten sparen gegenüber einem Benzinantrieb, selbst ohne staatliche Förderungen. Wir sprachen mit CEO Peter Voelkner über die Firma und ihre besondere Chance in Indien.

Peter Voelkner bei einer Präsentation im Werk Bangalore im Kreise seiner Mitarbeiter

(Bild: 3ev)

Was ist die Rolle von Dreirädern in Indien?

Indien definiert sich über den Status als uralte Gesellschaft mit tiefem Respekt vor der Geschichte. Das macht Veränderungen, wie etwa Verbesserungen der Infrastruktur, manchmal schwierig. Die Spannung zwischen den Bundesstaaten Indiens und der indischen Bundesregierung erschwert langfristige Planungen ebenfalls, wie wir sie in Europa sehen und mehr noch in China, wo zentralistische Kontrolle über Jahrtausende die Norm war. Dazu kommt, dass Indien jetzt das bevölkerungsreichste Land der Welt ist, während es von der Landfläche das siebtgrößte ist, nach Australien. Das bedeutet eine für Europa ungewohnt hohe Bevölkerungsdichte.

Die Rate der Urbanisierung Indiens der letzten zehn Jahre hat alle anderen Länder hinter sich gelassen. Während jedoch in China, Europa und Ostasien auch massiv in die Höhe gebaut wird, wachsen Indiens urbane Zentren mehr in die Fläche. Dieser Umstand, zusammen mit den vorher genannten Faktoren und der Demographie, sorgen für enormen Druck auf lokale Logistik. Das bedeutet, dass Wirtschaft und Gesellschaft höchst lokalisiert und fragmentiert sind. Logistik und Dienstleistungen finden also sehr nah statt; Distanzen von mehr als 50 km sind für viele Dinge in den Ballungszentren praktisch unmöglich. Aus diesen Gründen dominieren kleine, leichte, langsame Fahrzeuge das lokale Transportwesen, sowohl bei Passagieren als auch bei Fracht. Dreiräder sind ideal geeignet für diesen Zweck, und deshalb ist Indiens Dreiradmarkt der größte der Welt.

Ein Lieferdienst-Fahrer lädt am Warenhaus auf für seinen Ausfahr-Trip.

(Bild: 3ev)

Beschreiben Sie doch einmal diesen Markt in Relation zu zwei- und vierrädrigen Fahrzeugen.

Als wir 2018 unsere Marktanalyse für elektrische Antriebe in Indien durchführten, kamen mehrere interessante Aspekte heraus. Bei den Motorrädern wurde das elektrische Zweirad bereits zum Standardprodukt. Mit einem elektrischen Motorrad kann man in Indiens typischen Einsatzszenarien vergleichsweise einfach ein Benzinmotorrad ersetzen. Die technischen Hürden waren niedrig. Motor, Batterie, Leistungen, Sicherheit, alles kein großes Thema, und es existierte eine tiefe globale Lieferkette und viele Proof-of-Concept-Modelle. Für die Endnutzer war der Umgang mit elektrischen Zweirädern nicht allzu unterschiedlich zu Verbrennern, und die Vorteile in Sachen Performance und Kosten waren einfach zu verstehen. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell für ein elektrisches Motorrad bräuchte jedoch gutes, reichweitenstarkes Branding, zielgruppengerechtes Design, Vertrieb, Händlernetzwerke und Massenproduktion. Hier konnten wir als Start-up nicht konkurrieren. Bei elektrischen Vierrädern sah es noch schwieriger aus: Das ist ein Geschäft für sehr große, global agierende Firmen, mit denen wir als Start-up ebenfalls nicht konkurrieren konnten.

Elektrische Dreiräder hingegen waren sehr attraktiv, aus vier starken Gründen: Erstens sind Dreiräder entscheidend für den Transport von Passagieren und Waren in Indiens Ballungsräumen (dazu gleich mehr). Zweitens: Der bestehende Markt der Verbrenner-Dreiräder ist ein Oligopol aus vier großen Herstellern mit jeweils festen Marktanteilen und lange amortisierter Technik und Design. Sie haben kaum Anreize für Innovationen oder die Entwicklung elektrischer Antriebe. Drittens wurden die Ineffizienzen und Abgase von Verbrennern in ihren urbanen Einsatzgebieten ein signifikantes Problem. Und viertens ist der gesamte Dreiradmarkt rein gewerblich (Business-to-Business, B2B). Kein Privatkunde kauft eine Elektrorikscha für den persönlichen Gebrauch. Alle dreirädrigen Fahrzeuge in Indien sind Gewerbeausrüstung, die Einkommen produziert, entweder für ein Frachtunternehmen oder für das Rikschataxi-Geschäft.

Ein kleiner PSM-Motor mit 5 kW Dauerleistung reicht für eine Performance, die im Stop-and-Go des Lieferns üblichen Benzinern überlegen ist.

(Bild: 3ev)

Weil der Markt rein B2B ist, können wir uns an greifbaren gewerblichen Strukturen orientieren. Ein gewerbliches Fahrzeug muss zuverlässig und kosteneffizient Einkommen generieren. Das können wir gut gewährleisten, während nichtgewerbliche Motivationen wie persönliches Interesse an Elektroantrieben schwer planbar sind. Wir wussten, dass wir im gewerblichen Dreiradbereich die technischen Anforderungen schaffen würden, die schon einen Schritt komplexer ausfallen als bei Zweirädern. Wir wussten, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Verbrennern beweisen mussten – Unternehmen würden keine elektrischen Fahrzeuge kaufen und Geld dabei verlieren. Das Oligopol der Benzin-Dreiräder ließ uns eine offene Tür in einen veränderten Markt. Wir konnten das tun, was sie sein ließen. Wir wussten obendrein, dass sie weder willens noch fähig waren, ihre bestehenden Cashcows zu untergraben. Das war unsere Chance.

Wie sehen die Lebenszeit-Betriebskosten (total cost of ownership, TCO) im Vergleich zu Benzinern aus?

Wir haben geschätzt, dass die gesamten Lebenszykluskosten eines Elektrofahrzeugs idealerweise 60 bis 70 Prozent geringer ausfallen können als bei einem Verbrennungsfahrzeug. Unsere Fahrzeuge sind von ihrer Performance so, dass sie mehr mit Vierrad-Lastfahrzeugen konkurrieren als mit anderen Lastendreirädern. Das ist das Eine. Es ist jedoch zudem wichtig, den zentralen Kostenunterschied zwischen Verbrenner und Elektroantrieb zu verstehen. Die Anschaffungskosten eines Verbrenners können weniger als die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen, während Treibstoff, Treibstofflagerung und Wartung mehr als die Hälfte ausmachen können. Die Anschaffungskosten liegen also manchmal unter den Betriebskosten über Lebenszeit. Die Preise für Treibstoff schwanken jedoch stark, und auch die Preise für Wartung sind stark an die Ölpreise gebunden.

Für ein Elektrofahrzeug sieht das komplett anders aus. Während ein Benzintank fast nichts kostet, kann die Batterie 50 Prozent der Fahrzeugkosten ausmachen. Deshalb liegt der Anschaffungspreis höher als für Verbrenner. Die Kosten für Strom sind jedoch viel niedriger als für Benzin, und besser planbar. Deshalb macht beim Elektrofahrzeug der Anschaffungspreis 80 bis 85 Prozent der TCO aus. Wartung kann sehr günstig sein, wenn die Fahrzeuge richtig behandelt werden. Das ist ein wichtiges "Wenn". Wie man ein Elektrofahrzeug baut, wie man es richtig lädt, wie man es richtig wartet für langjährigen, problemlosen Betrieb, all dieses Wissen haben wir uns bei 3ev und unserer Schwesterfirma 3eco hart erarbeitet. Jeder Hersteller, der ein elektrisches Fahrzeug auf den Markt bringt und erwartet, dass die Kunden einfach so wissen, was sie tun müssen für einen langfristig wirtschaftlichen Betrieb, wird unglückliche Kunden ernten.

Das Werk Bangalore aus der oberen Riege fotografiert, mit unterschiedlichen Chassis und Aufbauten

(Bild: 3ev)

Welche staatlichen Förderungen gibt es in Indien?

In Indien sind die sogenannten "FAME2"-Gelder die hauptsächlichen Förderungen für Elektrofahrzeuge. Die Fördergeldhöhe richtet sich nach der Batteriekapazität: Es gibt 10 Rupien (11 Euro-Cent) pro Wattstunde. Die maximal geförderte Batteriekapazität sind 10 kWh, für die es folglich 1 Lakh Rupien (100.000 Rupien, rund 1100 Euro) gibt. Fahrzeuge mit größeren Batterien erhalten nur diese maximale Förderung. 3ev produziert Batterien mit mindestens 10 kWh Kapazität, als Zellchemie verwenden wir Lithium-Eisenphosphat (LFP) und Lithium-Titanoxid (LTO). Wir haben bisher keine Förderungen beantragt, auch nicht für Forschung und Entwicklung, Training, Personal oder sonstiges. Unser Geschäftsmodell funktioniert auch so. Das kann sich in Zukunft aber noch ändern.

Was sind die Preistrends bei Strom?

Die Preise sind relativ stabil. Es gibt einen subventionierten Stromtarif für Elektrofahrzeuge. Den benutzen wir noch nicht in unseren Planrechnungen, aber das kann sich auch ändern.

Wie beeinflussen die steigenden Einkommen den Markt?

Die Urbanisierung treibt nicht nur die Einkommen in die Höhe, sondern auch die Bevölkerungsdichten. Das erhöht die Nachfrage nach Personentransport über die Wachstumsraten des Bruttoinlandproduktes (BIP) hinaus. Die Nachfrage nach Lieferdiensten steigt genauso durch diese Entwicklungen. Covid-19 hat die Nachfrage nach E-Commerce und die dazugehörigen Lieferdienstleistungen zusätzlich stark erhöht. Lokale Lieferdienste sind daher ebenfalls schneller gewachsen als das BIP, und es wird erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Also benutzen mehr Menschen kleine Taxis und Transporter als vor zehn Jahren?

Viel mehr!

Unterschiedlich große Aufbauten der Cargo Box. 3ev bietet Solar-Panels für die Dächer der Boxen an, die pro Tag bis zu 2 kWh in die Batterie laden. Im üblichen Lieferbetrieb erhöht sich dadurch die Reichweite um 10 bis 15 %.

(Bild: 3ev)

Was können Nordamerika und Europa von Indien lernen im Hinblick auf den Verkehrssektor?

Ich habe etwa 1990 Ökonomie studiert und etwa 2000 Betriebswirtschaft. Die gängige Lehrmeinung damals lautete, dass eine hohe Bevölkerungsdichte eine Gefahr darstellt, dass sie sich negativ auf die gesellschaftliche Entwicklung und das Wirtschaftswachstum auswirken werde. Das hat sich als falsch herausgestellt. Bevölkerungsdichte und die Möglichkeiten für Wirtschaftswachstum bei sinkenden Umweltbelastungen korrelieren positiv: Eine hohe Bevölkerungsdichte hilft dabei, umweltfreundliche Lösungen zu schaffen. Amerikaner, die 100 km zur Arbeit pendeln, allein in einem riesigen Auto mit Treibstoffeffizienzstandards, die dem Rest der Industrienationen um Jahrzehnte hinterherhinken, das ist kein Modell für Effizienz oder eine nachhaltige Zukunft. Genauso ist die weltweit verschiffte Produktion in China kein nachhaltiges Zukunftsmodell.

Der Westen erlebt bereits die Konsequenzen eines ineffizienten Wirtschaftssystems, das auf linearer Ressourcenextraktion aufbaut und zirkuläre, lokale Systeme ignoriert. Indien, China und Teile von Ostasien mussten sich stärker Themen wie Lokalisierung, Ressourceneffizienz und Kreisläufen widmen als der Westen, und das versetzt sie nun in eine gute Position für die Zukunft. Diese Effekte werden sich in den nächsten Jahrzehnten auch auf die Verläufe der jeweiligen Lebensstandards auswirken.

(cgl)