Ein Online-Kunstkatalog, der das gestohlene afrikanische Erbe zeigt

Das Projekt "Digital Benin" soll einen zentralen Online-Ort bieten, an dem Kunstgegenstände zu sehen sind, die heute über den globalen Norden verstreut sind.

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Leoparden-Skulptur aus Benin (1550-1680)

Leoparden-Skulptur aus Benin (1550-1680).

(Bild: Metropolitan Museum of Art)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Gouri Sharma

Als britische Truppen Ende des 19. Jahrhunderts das afrikanische Königreich Benin einnahmen, stahlen sie Tausende von Skulpturen, die Jahrhunderte alt waren. Die Artefakte, die als Benin-Bronzen bekannt sind, wurden an private Sammler und Museen vor allem in Europa verkauft und umfassten unter anderem zeremonielle Schwerter, rituelle Statuen und Musikinstrumente, die dem Edo-Volk gehörten. Der Raub der Bronzen hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft, deren Nachkommen im heutigen Benin City im Süden Nigerias und in dessen Umgebung leben. Dadurch wurde die Verbindung zwischen ihnen und ihrem kulturellen Erbe gestört. Doch trotz langjährigem Druck haben sich viele Institutionen, etwa in Deutschland und im Vereinigten Königreich, bislang der Aufforderung widersetzt, Informationen über die Benin-Bronzen in ihren Sammlungen preiszugeben. Daher ist es schwierig, festzustellen, wie viele außerhalb Nigerias vorhanden sind und wo sie sich konkret befinden.

Mit dem Start einer Online-Plattform namens Digital Benin hat sich dies jedoch geändert. Das vom Museum am Rothenbaum (MARKK) in Hamburg angeschobene Projekt ist ein Online-Katalog mit mehr als 5.000 bekannten Benin-Bronzen. Die Organisatoren bezeichnen ihn als eine "Form der digitalen Restitution", bei der moderne Technik eingesetzt wird, um die Verbindung einer Gesellschaft zu ihren Kunstgegenständen wiederherzustellen, die aus ihrer Heimat geraubt wurden. Der Katalog enthält zudem Edo-spezifisches Wissen, Informationen zu ihrer Geschichte und Sprache, einschließlich der traditionellen Edo-Namen für die Objekte und die Orte, an denen sie entstanden sind. Die Plattform wurde von einem in den USA, Europa und Nigeria ansässigen Team mit einer anfänglichen Finanzierung von 1,2 Millionen Euro durch die Ernst von Siemens Kunststiftung in Berlin aufgebaut. Sie wurde zudem speziell angepasst, um den Zugang für Menschen zu gewährleisten, die das Internet hauptsächlich über Mobiltelefone nutzen, wie es die meisten Nigerianer tun.

Anne Luther, Expertin für Digitalisierung von Kulturerbe und eine der Hauptverantwortlichen von Digital Benin, hofft, dass das Projekt ein Modell für andere Gesellschaften sein wird. Mit digitaler Technik soll ihnen ermöglicht werden, gestohlene Artefakte wiederzufinden und letztlich zurückzuholen. "Vor Digital Benin war diese Form der digitalen Restitution kein Thema für größere Institutionen", sagt Luther. Bei der Erstellung des Katalogs erhielt das Team dann jedoch mehr als 400 Datensätze von 131 Institutionen aus 20 Ländern, mit denen es dann arbeitete, um die Objekte digital zugänglich, durchsuchbar und auch rückverfolgbar zu machen. Hilfreich war, dass das Projekt den Museen und Sammlungen zusicherte, dass sie ihre Rechte und ihr Eigentum an allen Datensätzen, die sie weitergaben, behalten konnten. Das habe zu mehr Mitarbeit geführt, sagt Luther.

Sie räumt jedoch ein, dass die Website nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Rückgabe der Kulturgüter an die Edo sein soll. Der Druck auf Regierungen und Institutionen, darunter das Britische Museum in London, das mehr als 900 Benin-Objekte besitzt, wächst. Und es gibt Anzeichen dafür, dass dieser Druck Wirkung zeigt: Deutschland beispielsweise hat inzwischen 21 Benin-Bronzen, die zuvor in seinen Sammlungen aufbewahrt wurden, zurückgegeben.

Eiloghosa Obobaifo, Anthropologin aus Benin City, sagt, dass die Plattform Digital Benin Einheimischen geholfen habe. Dazu gehörten auch heute aktive Bronzegießer, die Skulpturen mit alten Techniken herstellen – sie bekamen so wieder eine Verbindung zu ihrer Kulturgeschichte. "Die Bronzegießer sind heute abhängig von der Plattform geworden und nutzen sie, um Objekte zu finden, die sie nachbilden können", sagt Obobaifo, der für das Projekt mitrecherchiert hat. "Es hat auch Auswirkungen auf unser Bildungssystem, da Studenten die Plattform zu Forschungszwecken nutzen. Es war ermutigend für mich zu sehen, dass die Menschen die Informationen, die wir veröffentlicht haben, zu schätzen wissen."

Digital Benin wurde inzwischen auf mehr als 4.000 Archivdokumente erweitert, die mit den Benin-Bronzen in Verbindung stehen. Das Team hofft, dass das Modell von Digital Benin auf globaler Ebene ausgebaut werden kann. "Das langfristige Ziel ist es, eine Datenbank zu entwickeln, die alle Objekte in allen Institutionen weltweit miteinander verbindet", sagt Luther. Sie schätzt, dass die Entwicklung und Pflege eines erweiterten Prototypsystems über einen Zeitraum von fünf Jahren rund 5 Millionen US-Dollar kosten würde. Luther und ihre Kollegen entwickeln derzeit ein neues Projekt mit der Living Arts Foundation in Kambodscha, um die Tradition der darstellenden Künste des Landes zu erhalten. Noch ist die Finanzierung nicht gesichert.

(jle)