Die größten Technikkatastrophen des Jahres 2023

Die Titan-Kastastrophe, sinnfreier AI Pin, Robotertaxis, die Straßen blockieren: Eine kleine Auswahl an Technik, die 2023 nicht rund lief.

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Dumpster-Fire

(Bild: Erstellt mit Midjourney durch MIT Technology Review)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

2023 war ein Jahr voller Innovationen – aber es ging auch einiges daneben, wie unser Rückblick auf die größten technologischen Fails des Jahres zeigt. Und dabei geht es nicht nur um das Titan-Tauchboot, das bei einem Tauchgang zur Besichtigung des Titanic-Wracks implodierte. Viele hatten Stockton Rush, den Erfinder des U-Boots, gewarnt, dass es nicht sicher sei. Aber er war sich sicher, dass Innovation bedeutet, bekannte Regelwerke über Bord zu werfen und Risiken einzugehen. Er setzte damit funktionierende Technik zugunsten von Wunschdenken außer Kraft. Er und vier andere Personen starben.

Für MIT Technology Review zeigt das, wie der Innovationsgeist die Realität überholen kann – und das manchmal sehr unangenehme Folgen hat. Ein Phänomen, das wir im Jahr 2023 immer wieder beobachten konnten – etwa als Cruise, Tochter des Automobilkonzerns GM, Robotaxis auf die Straße brachte, bevor sie fertig waren. Hatte es das Unternehmen so eilig, weil es jedes Jahr 2 Milliarden US-Dollar Verlust macht?

Andere Innovatoren fanden merkwürdige Wege, um technologische Hoffnungen am Leben zu erhalten, wie etwa ein Unternehmen, das Industrieanlagen der Presse zeigte, aber im Stillen immer noch Labormethoden verwendet, um gezüchtetes Fleisch herzustellen. Wirklich schlimm wird es aber, wenn Technologiegläubige an Technik arbeiten, von der absehbar ist, dass sie nach hinten losgeht. Das gilt etwa für den neuen, mit einem zweistelligen Millionenbetrag entwickelten "AI Pin", der Smartphones ersetzen soll. Der könnte ein gigantischer Fehlschlag werden.

In diesem Sommer verfolgten wir alle gespannt die Nachrichten, als sich 3.500 Meter unter der Meeresoberfläche ein Drama abspielte. Ein experimentelles U-Boot mit fünf Personen an Bord ging verloren, nachdem es zum Wrack der Titanic hinabgestiegen war. Die Titan war ein radikaler Entwurf für ein Tiefsee-Tauchboot: ein Rohr aus Kohlefaser von der Größe eines Minivans, das mit einem Spielecontroller bedient wurde und von dem der Luft- und Raumfahrtingenieur Stockton Rush glaubte, dass es die Tiefen des Meeres für eine neue Art von Tourismus öffnen würde. Sein Unternehmen, OceanGate, wurde mehrfach gewarnt, dass das Boot einem Druck von 400 Atmosphären nicht standhalten würde. Seine Antwort? Er zitierte General MacArthur mit den Worten, man erinnere sich doch nur an Regeln, die man bricht.

Aber gegen die Regeln der Physik anzugehen, funktioniert nicht. Am 22. Juni, vier Tage nachdem der Kontakt zur Titan abgebrochen war, entdeckte ein Tiefseeroboter die Überreste des U-Boots. Höchstwahrscheinlich wurde es durch eine katastrophale Implosion zerstört.

Neben Rush kamen die folgenden Passagiere ums Leben:

- Hamish Harding, 58, Tiefseetourist

- Shahzada Dawood, 48, Tiefseetourist

- Suleman Dawood, 19, Tiefseetourist

- Paul-Henri Nargeolet, 77, Titanic-Experte

Warum nicht Rind- oder Hühnerfleisch in einem Bioreaktor herstellen, anstatt Tiere für Lebensmittel zu töten? Das ist die humane Idee hinter "Fleisch aus dem Labor". Das Problem besteht jedoch darin, das Nahrungsmittel in großem Maßstab herzustellen. Nehmen wir Upside Foods: Das Start-up-Unternehmen mit Sitz in Berkeley, Kalifornien, hatte mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar eingeworben und präsentierte stolz seine Industrieanlagen aus glänzendem Stahl.

Doch Journalisten erfuhren bald, dass Upside ein Vogel mit geliehenen Federn war. In den großen Tanks wurden keine Hähnchenfilets produziert. Stattdessen entstanden Hühnerhautzellen in viel kleineren Laborkolben. Dünne Zellschichten wurden dann von Hand geschöpft und zu Hähnchenteilen verpresst. Mit anderen Worten: Upside benötigt viel manuelle Arbeit und Energie, um sehr wenig Kunstfleisch herzustellen.

Samir Qurashi, ein ehemaliger Mitarbeiter, erklärte gegenüber dem Wall Street Journal, er wisse, warum Upside das Potenzial von im Labor gezüchteten Lebensmitteln aufblähe. "Es ist das Prinzip 'Fake it till you make it.'" Und obwohl das im Labor gezüchtete Hühnerfleisch von der US-Medizinaufsicht FDA zugelassen ist, gibt es Zweifel, ob es jemals mit echtem Fleisch konkurrieren kann. Hähnchenfleisch kostet im Supermarkt 4,99 Dollar pro Pfund. Upside sagt noch nicht, wie viel die Herstellung der Laborversion kostet, aber ein paar Bissen davon werden in einem Sternerestaurant in San Francisco für 45 Dollar verkauft. Das Unternehmen räumte die Herausforderungen ein. "Wir haben uns für diesen Job entschieden, nicht weil er einfach ist, sondern weil die Welt unser Produkt dringend braucht."

In einer Stellungnahme gegenüber MIT Technology Review sagte Upside-Foods-CEO Uma Valeti, man sei enttäuscht über die Darstellung. Upside habe erfolgreich und wiederholt bewiesen, dass man seine "Suspensionstechnologie" skalieren könne, um köstliche Produkte herzustellen, "Diese Plattform ist die Grundlage für die kommerzielle Anlage, die wir derzeit bauen, und wird die Produktion in großem Maßstab ermöglichen, sobald die behördliche Genehmigung vorliegt." Upside sei stolz darauf, mit seinem Hühnerfleischprodukt einen Meilenstein gesetzt zu haben. "Wir werden auch weiterhin Pioniere sein, die sich der Herausforderung stellen, eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig zu ernähren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren." Man wolle den Verbrauchern schmackhaftes und sicheres kultiviertes Fleisch anbieten. "Wir wissen, dass viele Herausforderungen vor uns liegen."

Sorry, Autopilot-Fans, aber wir können diesen Rückschlag in diesem Jahr nicht ignorieren: Tesla hat gerade einen großen Rückruf seiner Software durchgeführt, nachdem Autos, die im Selbstfahrmodus betrieben wurden, in Unfälle mit Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen verwickelt waren. Den größten Rückschlag gab es jedoch bei Cruise, der Roboterfahrzeugabteilung des Automobilkonzerns GM, die als erstes Unternehmen mit einer Flotte von mehr als 400 Fahrzeugen fahrerlose Taxifahrten in San Francisco anbietet.

Cruise argumentiert, dass solche Robotertaxis eben nicht müde werden, niemals betrunken fahren und sich nicht ablenken lassen. Das Unternehmen schaltete sogar eine ganzseitige Zeitungsanzeige, in der es erklärte, dass "Menschen schreckliche Fahrer sind". Aber bei Cruise wurde vergessen, dass Irren menschlich ist – etwas, was wir von Robotern eigentlich selten erwarten. Schon bald häuften sich die Missgeschicke der mit Sensoren ausgestatteten Chevy Bolts von Cruise, darunter das Mitreißen eines Fußgängers über eine Strecke von sechs Metern. Im Oktober 2023 hat die kalifornische Straßenverkehrsbehörde die Cruise-Fahrzeuge deshalb mit der Begründung eines "unangemessenen Risikos für die öffentliche Sicherheit" von der Straße verbannt.

Dies ist ein schwerer Schlag für Cruise, das inzwischen 25 Prozent seiner Mitarbeiter und seinen CEO entlassen musste und dessen Mitbegründer Kyle Vogt, ein ehemaliger MIT-Student, das Unternehmen verlassen hat. "Wir haben unseren fahrerlosen Service vorübergehend eingestellt", heißt es jetzt auf der Website von Cruise. Das Unternehmen überprüfe die Sicherheit und ergreife notwendige Maßnahmen, um "das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen".

Kunststoff ist eigentlich ein tolles Material. Es ist stabil, leicht und es kann in nahezu jede Form gepresst werden: Egal ob Gartenstühle, Wackelköpfe, Taschen, Reifen oder Garn.

Das Problem dabei ist, dass es zu viel davon gibt, wie Doug Main für MIT Technology Review 2023 berichtete. Die Menschen stellen jährlich 430 Millionen Tonnen Plastik her (deutlich mehr als das Gewicht aller Menschen zusammen), aber nur neun Prozent davon werden recycelt. Der Rest landet auf Mülldeponien und zunehmend auch in der Umwelt.

Ein durchschnittlicher Wal hat nicht nur kiloweise Plastik in seinem Bauch, sondern es wurden auch winzige Teile von Mikroplastik in Erfrischungsgetränken, im Plankton, im Blut von Menschen und sogar in der Luft gefunden. Die gesundheitlichen Auswirkungen der sich ausbreitenden Mikroplastikverschmutzung sind bislang noch kaum bekannt.

Das Bewusstsein für dieses globale Problem wächst zwar, und einige Politiker und Aktivisten fordern ein "Plastikabkommen", um die Verschmutzung zu stoppen. Doch das wird der Industrie schwer zu verkaufen sein. Das liegt auch daran, dass Plastik wie erwähnt so billig und nützlich ist. Doch Forscher sagen, der beste Weg, Plastikmüll zu vermeiden, ist, Kunststoff erst gar nicht herzustellen.

Die New York Times bezeichnete das Gerät als "Big, Bold Sci-Fi Bet", das womöglich das Smartphone ersetzen könnte. Worum es geht? Um den AI Pin, einen Anstecker für Hemd oder Jacke, der mit einer Kamera, Chips und Sensoren ausgestattet ist.

Ein Gerät, das uns von unserer Smartphone-Abhängigkeit befreit, scheint ein lohnenswertes Ziel, aber der klobige 700-Dollar-Pin (für den außerdem ein 24-Dollar-Monatsabonnement erforderlich ist) kann nicht die Rettung sein. Erste Testberichte bezeichneten das vom Start-up Humane AI entwickelte Gerät als "zu gleichen Teilen magisch und unbeholfen". Die Betonung liegt dabei auf "unbeholfen". Die Benutzer müssen Sprachbefehle nutzen, um Nachrichten zu senden oder mit einer KI zu chatten (ein Laserprojektor im AI PIN zeigt auch Informationen auf der Hand an). Das Gerät wiegt so viel wie ein Golfball, also wird man es wahrscheinlich nicht an einem T-Shirt befestigen.

Bethany Bongiorno und Imran Chaudhri, ein Ehepaar, das früher bei Apple als Führungskräfte arbeitete, ließ sich von einem buddhistischen Mönch namens Brother Spirit inspirieren, sammelte 240 Millionen Dollar ein und meldete 25 Patente an, berichtet die New York Times.

Es steckt also eine Menge Gehirnschmalz, Geld und Technik in der Entwicklung. Aber wie die Rezensentin Victoria Song von The Verge feststellt, "verstößt es gegen die wichtigste Regel für gutes Wearable-Design: Man muss das verdammte Ding tragen wollen". So wie er ist, sei der AI Pin zwar nett, "aber er ist keine Konkurrenz für die Verlockungen eines Bildschirms".

Ein Supraleiter, der bei Raumtemperatur arbeitet, wäre wunderbar: Wenn es ihn gäbe, würde er ganz neue Arten von Batterien und leistungsstarken Quantencomputern ermöglichen und die Kernfusion näher an die Realität heranbringen. Es ist ein wahrer Heiliger Gral der Physik.

Als im Juli dieses Jahres ein Bericht aus Korea auftauchte, wonach eine solche Substanz mit dem Namen LK-99 tatsächlich existiert, waren die Medien im Internet sofort Feuer und Flamme. Die Nachricht tauchte zuerst in Asien auf, zusammen mit einem Online-Video, in dem ein Stückchen des Materials über einem Magneten schwebte. Dann verbreitete sich die Information in den sozialen Medien.

"Heute haben wir vielleicht die größte physikalische Entdeckung meines Lebens gemacht", schrieb jemand in einem Beitrag auf X, der 30 Millionen Mal aufgerufen wurde. "Ich glaube nicht, dass die Menschen die Tragweite vollständig begreifen ... Das könnte unser Leben völlig verändern."

Es spielte keine Rolle, dass der Beitrag von einem Marketingmitarbeiter eines Kaffeeunternehmens verfasst worden war. Es war spannend – und extrem amüsant – zu sehen, wie mit großen finanziellen Mitteln ausgestattete Start-ups plötzlich ihre Arbeit an Raketen und Biotechnologie aufgaben, um selbst zu versuchen, die magische Substanz herzustellen. Kenneth Chang, Reporter der New York Times, nannte LK-99 "den Supraleiter des Sommers".

Doch die Sommernachtsträume zerplatzten bald, nachdem echte Physiker die Arbeit nicht nachstellen konnten. Nein, LK-99 ist kein Supraleiter. Stattdessen könnten Verunreinigungen in der Rezeptur die koreanischen Forscher in die Irre geführt haben – und dank der sozialen Medien auch den Rest von uns.

Solar Geoengineering ist die Idee, den Planeten durch die Freisetzung reflektierender Materialien in die Atmosphäre abzukühlen. Es ist ein heikles Konzept, denn es wird den Treibhauseffekt nicht aufhalten, sondern nur verlangsamen beziehungsweise verschleiern. Und wer darf bitte entscheiden, ob wir die Sonne blockieren?

Mexiko hat Anfang des Jahres Versuche mit Geoengineering verboten, nachdem ein Start-up namens Make Sunsets beschlossen hatte, ein kommerzielles Projekt zu beginnen. Der Mitbegründer Luke Iseman beschloss, in Mexiko Ballons steigen zu lassen, die reflektierendes Schwefeldioxid in den Himmel schleudern sollten. Das Start-up verkauft auf seiner Website immer noch "Kühlungsgutschriften" für jeweils 10 Dollar.

Das Einbringen von Partikeln in die Atmosphäre ist theoretisch billig und einfach, und die Klimaerwärmung ist bekanntermaßen eine große Bedrohung. Aber zu schnelles Handeln kann eine Gegenreaktion hervorrufen, die den Fortschritt abwürgt, so MIT-Technology-Review-Redakteur James Temple. "Das verletzt die Rechte der Gesellschaft, ihre eigene Zukunft zu bestimmen", meinte ein anderer Kritiker.

Iseman zeigt jedoch keine Reue. "Ich befrage keine Milliarden, bevor ich einen solchen Flug antrete", sagte er. "Ich werde nicht jeden Menschen auf der Welt um Erlaubnis bitten, bevor ich versuche, die Erde ein wenig abzukühlen."

(jle)