Der herstellerübergreifende Smart-Home-Standard Matter materialisiert sich

Matter zieht in Smart Homes ein: Dennoch muss noch einiges geschehen, bis der neue Standard das Versprechen einlöst, die gespaltete Automationswelt zu vereinen.

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, Berti Kolbow-Lehradt

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Das im Oktober 2022 in Version 1.0 veröffentlichte Kommunikationsprotokoll Matter soll die abgeschotteten Herstellersysteme der Smart-Home-Welt miteinander verbinden. Dass die Tech-Giganten Amazon, Apple, Google und Samsung es vorantrieben, nährte von Beginn an die Erwartung, dass sich für die Nutzer die Frage schlagartig erübrigt, ob neue Geräte zu den vorhandenen Komponenten und Funkstandards passen.

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  • Der herstellerübergreifende Smart-Home-Standard Matter ist nur langsam und mit Lücken gestartet.
  • Mittlerweile sind Matter-Geräte verfügbar, die etwa Apple-Homekit-Komponenten zugänglicher machen.
  • Die kommenden Matter-Spezifikationen bringen weitere Gerätetypen und mehr Funktionen.

Doch in den ersten Monaten nach der Premiere passierte wenig: Nur von einigen kleinen Herstellern kamen tatsächlich Matter-kompatible Geräte, viele Firmen beließen es bei Absichtserklärungen oder verschoben versprochene Firmware-Updates – darunter Branchengrößen wie Philips Hue und IKEA. Mit Belkin zog sich ein Produzent sogar schon wieder zurück, bevor er überhaupt eine Komponente auf den Markt gebracht hatte. Zudem unterstützte Matter nur wenige Gerätekategorien und lief recht unrund, wodurch sich endgültig Enttäuschung breit machte. Es schien, als sei Matter am Ende, bevor es richtig angefangen hatte.

Mittlerweile hat die beteiligte Herstellergemeinschaft jedoch die Kurve gekriegt: Neue Matter-Spezifikationen haben technische Stolperfallen beseitigt und die Auswahl an Gerätekategorien erhöht. Viele Neuvorstellungen von Zubehör stützen die Hoffnung, dass die Masse der Smart-Home-Produkte künftig Matter unterstützt. Aktualisierte Software für Bestandsgeräte bringt den Standard auch ohne Neukauf in die Haushalte. Und nicht zuletzt entfaltet der Einstieg von Branchengrößen die Sogwirkung, die ein neuer Standard benötigt, um sich durchzusetzen.

Dass Matter die Smart-Home-Welt in kurzer Zeit komplett revolutioniert, glaubt inzwischen jedoch fast niemand mehr. Aber: Dass Philips Hue mit seinen smarten Leuchtmitteln inzwischen Matter unterstützt, darf man als wichtiges Signal dafür werten, dass sich das Zusammenspiel diverser Herstellermarken langsam, aber stetig verbessert.

Im September rüstete ein Firmware-Update die Hue-Bridge automatisch mit Matter auf. Dadurch reicht das LAN-Gateway gekoppelte ZigBee-Bestandsprodukte an ein Matter-Netzwerk durch. Dies gilt für hunderte Komponenten bis zur ersten Hue-Birne von 2012.

Um bei der Hue-Bridge die bisherige Verknüpfung mit einer Plattform wie Apple HomeKit oder Amazon Alexa durch die mit Matter zu ersetzen, muss man sie dort zuerst entkoppeln und dann durch das Einlesen eines QR-Codes neu verbinden. Andernfalls drohen Doppeleinträge mit Störpotenzial.

Die Hue-Bridge lässt sich am Handy per Code auf Matter umstellen. Vorhandene Raum- und Leuchtmittelnamen werden automatisch übernommen, Szenen und Automatikregeln muss man aber von Hand anpassen.

Wer aktuell bereits mit dem Zusammenspiel der Systeme zufrieden ist, kann sich den Wechsel zu Matter zwar sparen. Anders sieht es jedoch aus, wenn die Hue-Bridge etwa Leuchtmittel von Drittmarken an Apple HomeKit durchreichen soll. Zudem lassen sich in Amazon Alexa und Google Home mehrere Hue-Bridges einbinden, was bei einer großen Lichtinstallation von Vorteil ist.

Ähnlich wie Hue gelten auch die Marken AVM und Bosch als Klassiker im deutschen Smart-Home-Kosmos. Die Firmware-Updates für deren Schaltzentralen sind zwar noch nicht verfügbar, aber in Sichtweite. Bosch nennt aktuell "Anfang kommenden Jahres" als neues Zeitfenster für das Update, nachdem es eigentlich schon in diesem Jahr erscheinen sollte. Dafür plant der Hersteller nun, nicht nur den "Smart Home Controller II" um das Kommunikationsprotokoll zu erweitern, sondern auch dessen weiterhin verfügbaren Vorgänger. Mit Heizthermostaten, einem Bewegungs- und Öffnungssensor, einem Smart Plug mit Funkschalter sowie einem Unterputzrelais erhalten zunächst die am häufigsten eingesetzten Komponenten Matter-Support.

AVM will Ende 2023 zunächst eine Beta-Fassung an Experimentierfreudige verteilen. Sie erscheint sicherheitshalber nur für das weniger kritische ZigBee-Gateway und nicht auch gleich für die im WLAN-Heimnetz wichtigeren Fritzbox-Router. Mit stabiler Firmware für alle Zentralen ist frühestens im Laufe des kommenden Jahres zu rechnen. Dass erste Anwendungsfälle bereits funktionieren, zeigte AVM auf der IFA 2023. Dort ließ sich AVM-Zubehör auf einer Smartwatch nativ mit Google Home steuern, was bisher nur per Bastellösung geht.

Vorführung auf der IFA 2023: Geräte von Busch-Jaeger (links) und Eve (rechts) arbeiten dank Matter zusammen.

(Bild: Berti Kolbow-Lehradt)

Matter rückt auch vermehrt in den Fokus von Großinstallationen professioneller Gebäudeausstatter. Die vor allem bei Schaltkomponenten aktive Traditionsfirma Busch-Jaeger will bis Ende 2023 ihr System Access Point 2.0 per Software-Update nachrüsten. Da Gebäudeausstatter in sehr langen Produktlebenszyklen denken, ist der Einstieg ein großer Vertrauensvorschuss in die Zukunft von Matter.

Eine gemeinsame Installation von Busch-Jaeger und Eve demonstrierte auf der diesjährigen IFA, wie Matter die Brücke zwischen Gebäudesystemtechnik und Consumer-Produkten schlägt. Dabei ließen sich smarte Eve-Steckdosen und -Rollos über Touchdisplays und Schalter von Busch-Jaeger steuern, umgekehrt kommandierte die Smartphone-App von Eve Dimmschalter und Heizungsaktoren von Busch-Jaeger. Macht das Beispiel Schule, könnte Matter den Gestaltungsspielraum bei der Planung professioneller Systeme deutlich erweitern.

Das Bussystem von Busch-Jaeger ist nicht die einzige Matter-Option für Smart-Home-Profis: Passende Schaltkomponenten und Gateways gibt es etwa auch von Ubisys, Innovation Matters, Tridonic und Loxone – wobei der Miniserver letzterer Marke in puncto Matter aktuell noch im Beta-Status ist. Von Auftragsentwickler Mediola gibt es seit Juli eine passende Bridge für OEM-Hersteller.

Bridges reichen gekoppeltes Zubehör nur an Matter-Plattformen durch, wenn letztere die Funkbrücken auch unterstützen. Amazon und Samsung SmartThings schalteten diese Fähigkeit im September frei, vorher akzeptierten nur Apple und Google Bridges. Somit bieten nun alle vier großen Ökosysteme die Möglichkeit, Bestandsgeräte etwa mit ZigBee, Z-Wave oder Bluetooth über Matter zu steuern. Weiterhin werden WLAN und Thread als Netzwerktechniken direkt unterstützt.

Boschs Smart Home Controller II: Ein Firmware-Update soll ihn und das Vorgängermodell Matter-kompatibel machen.

(Bild: Berti Kolbow-Lehradt)

Auch die Auswahl bei sogenannten Matter-Controllern wird größer. Dabei handelt es sich um Schaltzentralen, die Geräte nicht nur an ein Netzwerk weitergeben, sondern diese auch steuern können. Mit den aktuellen HomePods, Apple TVs, diversen Echo-Geräten, dem SmartThings-Hub und dem Google Nest Hub 2 bietet das Markenquartett dabei viele Optionen.

Außerhalb der großen kommerziellen Ökosysteme eignet sich etwa der Homey Pro als Matter-Controller. Die Open-Source-Plattform Home Assistant erlaubt ebenfalls die Steuerung. In beiden Fällen befindet sich die Matter-Unterstützung allerdings noch im Beta-Stadium. TP-Link will noch im Dezember 2023 mit der Schaltzentrale Tapo H500 und später mit dem H900 zwei weitere sehr zugängliche und voraussichtlich preisgünstige Alternativen auf den Markt bringen.

Einen Ausblick auf die geplante Entwicklung gab c’t der Head of Technology der CSA, Chris LaPré. Die CSA (Connectivity Standards Alliance) definiert Standards wie Matter oder Zigbee. Nachdem Matter 1.0 eine Grundausstattung für gängige Smart-Home-Geräte enthielt und das Update 1.1 im zurückliegenden Mai vorwiegend Bugs fixte, soll das turnusgemäße Herbst-Update die Peripherie stärker einbinden, das bei Erscheinen dieses Hefts verfügbar sein soll. Rund ein Dutzend Gerätekategorien wurden laut LaPré von den zuständigen CSA-Gremien für Matter 1.2 getestet. Nur wenn sie ausreichend stabil funktionieren, schaffen sie es in die Veröffentlichung. Wie üblich werden einige davon noch weiteren Feinschliff und erneute Spezifizierungsrunden brauchen.

Eine hoch gehandelte Produktkategorie für Matter 1.2 sind Saugroboter; ebenfalls könnten Geschirrspüler, Waschmaschinen und andere "weiße Ware" dazu zählen. Definitiv zu früh kommt das Herbst-Update für WLAN-Kameras und smartes Energiemanagement. Zusätzlich will man die bereits in Matter enthaltenen TV-Funktionen ausbauen. Alle drei Gerätegruppen brauchen wegen des jeweils komplexen technischen Unterbaus noch Zeit und stehen frühestens mit Matter 1.3 im Frühjahr 2024 bereit. Und selbst bei grünem Licht vergehen anschließend weitere Monate, bis Hersteller die Vorgaben umsetzen und gebrauchsfertige Produkte in den Handel bringen. In den CSA-Gremien genießen laut Chris LaPré aber alle drei Gerätekategorien Priorität.

Matter ist ein Jahr nach dem Start also durchaus von der Stelle gekommen. Der Anreiz, schon jetzt das System darauf umzustellen, ist aber begrenzt. Denn läuft im Smart Home bereits alles rund, greift das Argument der vermeintlich besonders einfachen Einrichtung nicht. Interessant bleibt Matter vor allem für Neuanschaffungen.

Doch bislang haben sich die Kombinationsmöglichkeiten durch Matter noch nicht merklich gesteigert. Eine Ausnahme ist Apples HomeKit, das zuvor im Vergleich zu anderen Plattformen nur recht wenige Gerätekategorien einbinden konnte. Hersteller wie Govee, SwitchBot und Wiz nutzen nun Matter, um sich die aufwendige Prüfung von Apple zu ersparen und den Zugang zum System zu erhalten. Umgekehrt öffnet Matter das bisher auf HomeKit beschränkte Zubehör von Eve für Nutzer, die auf die Plattformen von Amazon, Google oder Samsung setzen.

Von einem Standard, der eine universelle Steuerung über alle Systeme ermöglicht, ist Matter aktuell noch weit entfernt: Selbst wenn zwei Matter-Controller die gleichen Produkte akzeptieren, heißt das nicht, dass der Funktionsumfang identisch ist. Belegungen sowie verfügbare Sensorwerte und Automatiken können etwa weiterhin voneinander abweichen – wie schon vor Matter.

Untereinander harmonieren die Matter-Plattformen ebenfalls noch längst nicht perfekt. Statt eines gemeinsamen spannen sie mehrere separate Thread-Netze auf. Das ist eine seit Monaten klaffende Baustelle, durch die sich die Mesh-Funktionen von Thread bislang nicht voll ausreizen lassen.

Doch alle diese Anlaufschwierigkeiten lassen sich beheben. Dass die Hersteller dies auch wirklich angehen, hat allerdings weniger mit Vorteilen für die Kundschaft zu tun als mit Unternehmenslogik: Matter verspricht Herstellern wie keine andere derzeitige Smart-Home-Technik eine große Kostenersparnis, weil sie sich künftig auf eine Schnittstelle konzentrieren können, statt diverse APIs zu pflegen. Die Kundschaft wird dies aber nicht stören, solange auch sie davon profitiert.

Bis man aber nicht mehr emsig nach Produkten, Funkstandards und Funktionen recherchieren muss, wird es weit über das kommende Jahr hinaus dauern. Jetzt schon Matter-Produkte unter den Weihnachtsbaum zu legen, schadet wiederum nicht: Sie funktionieren auch ohne Matter so, wie sie es bislang getan haben.

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