Déjà vue

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Von
  • André von Raison

Mit viel Getöse feierten auf der LinuxWorld in San Jose die Entwickler des Gnome-Projekts das Engagement großer Unternehmen der IT-Branche: Eine einheitliche Desktop-Umgebung für alle Betriebssysteme der dank Linux stark gewachsenen Unix-Familie. Da kam bei dem einen oder anderen ITler beinahe Langeweile auf. Gab es doch Anfang der 90er Jahre schon mal einen solchen Ansatz - Erinnerungsfetzen an Motif versus OpenLook oder CDE/HP-Vue drängen sich auf.

Die potenziellen Beweggründe für den neuerlichen Griff nach dem Desktop werden unterschiedlich sein. Sun dürfte vor allem auf den Erzfeind aus Redmond zielen, lassen die Kalifornier doch keine Gelegenheit aus, Microsoft vors Schienbein zu treten. HP betreibt sein Unix-Geschäft sowieso auf kleiner Flamme, und IBM betätigt sich derzeit überall als Missionar in Sachen Linux.

Auffallend ist die US-Lastigkeit der Foundation - Europäer wie SuSE oder Mandrake fehlen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass auch nationale Animositäten eine Rolle gespielt haben könnten. Bei KDE handelt es sich inzwischen zwar um ein internationales Projekt, die Ursprünge liegen aber in Europa; ein Umstand, mit dem Amerikaner manchmal ihre liebe Not haben. Sun als Promotor für Java als allgegenwärtige OO-Sprache hätte sich mit einem Bekenntnis für das durchweg in C++ geschriebenen KDE sicher in Erklärungsnot gebracht.

Die ‘verschmähten’ Entwickler des KDE-Projekts sehen der Gründung der Gnome-Foundation gelassen entgegen. Man sei mit der Realisierung von Zielen, beispielsweise einem Desktop-übergreifenden Komponentenmodell, wie sie sich die Gnome-Foundation auf die Fahnen geschrieben hat, bereits wesentlich weiter. Mit der für diesen Herbst erwarteten Version 2.0 werden sie über ein funktionierendes Office-Paket verfügen - eine Ecke, an der die Gnome-Entwickler noch etwas Integrationsarbeit zu leisten haben. Darüber hinaus sehe man durch die Beteiligung der Firmen die Gefahr, dass die Entwickler die Kontrolle über die Projekte verlieren könnten.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es auch: Es hat CDE nicht geholfen, dass Sun sich dafür eingesetzt hat, warum soll das bei Gnome anders werden. Schließlich sei Sun für seine Server bekannt und nicht für Desktopsysteme.

Auch die Puristen werden sich zu Wort melden und die Verschwendung von Entwickler-Ressourcen bemängeln: Wozu ein Desktop auf einem Serverbetriebssystem? Für den Arbeitsplatzrechner existieren doch bereits zwei Betriebssystemfamilien - Mac OS und Windows -, die diesen Bereich zur mehr oder weniger weitgehenden Zufriedenheit der Anwender abdecken.

Auch sprießen erste Diskussionen, die sich damit auseinander setzen, ob die Integration von Gnome in ein kommerzielles Betriebssystem wie Solaris oder HP-UX nicht gegen die GPL verstößt.

Generell besteht die Gefahr, dass es sich bei den Vereinbarungen, die der Welt in San Jose präsentiert wurden, lediglich um Absichtserklärungen handelt. Dazu könnte auch der Hang der freien Softwareszene beitragen, von Unternehmen oder Medien forcierten Standards eher abwartend bis ablehnend gegenüberzustehen.

Um bei den Erinnerungen zu bleiben: Es könnte sich hier, wie es in einem acht Jahre alten iX-Editorial hieß (6/92), um ein YAMA handeln: Yet Another Multivendor Announcement. Zu dessen Erfolgsaussichten schätzte man damals ein: ‘Je mehr daran beteiligt sind, desto unwahrscheinlicher.’ (avr)