DNSkalation

Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat das Rennen um die neuen Top Level Domains eröffnet. Noch in diesem Jahr sollen Internet-Anwender und Anbieter Gewissheit über die Namensressourcen bekommen.

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Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Ob es drei oder fünf sein werden, ist noch ungewiss und bleibt ein Zankapfel zwischen den Vertretern von Markenrechtsinteressen und den Internet-Service-Providern auf der einen sowie den bereits akkreditierten Registrars, interessierten Domainhändlern und Verbraucherverbänden auf der anderen Seite. Sicher ist: Bis Ende Dezember will die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers die Verträge für die lange erwarteten neuen generic Top Level Domains (gTLD) unter Dach und Fach bringen. Das beschlossen die 19 ICANN-Direktoren auf ihrer Sitzung in Yokohama. Seit dem 1. August läuft die offizielle Antragsfrist für potenzielle Registry-Betreiber.

Wer erwartet hatte, dass die vor knapp zwei Jahren mit der Reform des DNS gegründete Organisation genaue Kriterien für die ersten neuen gTLDs seit ‘com’, ‘net’ und ‘org’ festlegen würde, wurde in Yokohama enttäuscht. Kritische Beobachter wie Prof. Milton Mueller befürchten daher, dass der Entscheidungsprozess um die begehrten Delegationen undurchsichtig und von ICANNs hauptamtlichen Angestellten dominiert werden könnte. ‘Wir werden die Gründe für die Auswahlentscheidungen nicht kennen und auch nicht die Kriterien, auf deren Basis sie getroffen wurden,’ fürchtet Mueller. ‘Vieles besprechen Bewerber nun informell mit ICANN-Angestellten’, bemerkt der Sekretär des Council of Registrars, Werner Staub. Anschließend kursierten Aussagen wie die, dass nur Bewerber mit dickem Kapitalpolster überhaupt eine Chance bekommen würden, so der Schweizer.

Fest steht zunächst vor allem, dass alle Bewerber 50 000 US-Dollar auf den Tisch legen müssen, wenn sie ihren Vorschlag für ‘.firm’ oder ‘.biz’ einreichen. Die Summe soll nicht nur dafür sorgen, ICANNs Kosten zu decken, sondern auch als Abschreckungsmaßnahme für eventuelle Neueinsteiger dienen. Allerdings kritisierten Verbraucher- und Bürgerrechtsvertreter, dass gemeinnützige Projekte damit fast chancenlos seien; auch Vertreter aus Lateinamerika und Asien monierten die Einstiegshürde. Sonderkonditionen für solche Bewerber lehnte die Board-Vorsitzende Esther Dyson aber ab. ‘Ich finde das nicht zuviel, denn immerhin wollen die Leute etwas in die Mitte des Marktplatzes setzen’, urteilt Staub.

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Was ICANN von den Bewerbern wissen will

Folgende Angaben erwartet die ICANN von den Bewerber, die sich für den technisch-operativen und/oder administrativ-politischen Betrieb einer neuen Registry interessieren:

  • technische, geschäftliche, organisatorische und finanzielle Kompetenzen des vorgeschlagenen Registry-Betreibers;
  • geschäfts- oder satzungsmäßige Bestimmungen, die eine ordnungsgemäße Registrierung von Domain-Namen in der Anfangsphase sichern sollen (Registration Policy);
  • Vorkehrungen, die die Anwender im Falle eines Versagens der Registry schützen;
  • Maßnahmen, die die Gefahr einer Verletzung oder eines Missbrauchs von Marken- und Namensrechten minimieren

Die Frist für Bewerbungen endet am 1. Oktober. Für jede Bewerbung erhebt die ICANN eine Gebühr von 50 000 US-$.

Michael Leibrandt vom Bundeswirtschaftsministerium, der die deutsche Regierung im so genannten Regierungsbeirat vertritt, schätzt allerdings, dass der klassische Mittelständler sich eine Bewerbung angesichts des Einsatzes gut überlegen wird. Das BMWI will dennoch über die Branchenverbände auf die neue Marktchance aufmerksam machen. 200 000 US-Dollar, schätzt Staub, müsse man für eine Bewerbung rechnen. CORE-Registrar und ICANN-Direktoriumskandidat Siegfried Langenbach macht eine umfangreichere Rechnung auf: Mit 1 Million Euro im Rücken und fünf guten Leuten könnte man eine EU-Registry aufziehen, sagt der Provider aus Düsseldorf, der die Technik-Arbeitsgruppe für die EU-Registry organisiert. Das Verfahren um die nicht unumstrittene Europa-Domain läuft derzeit parallel zur allgemeinen TLD-Diskussion.

Festgelegt hat sich die ICANN nach den quälend langen Diskussionen zudem auf einen straffen Zeitplan: Bis zum 1. Oktober nimmt das ICANN-Büro in Marina del Rey Vorschläge entgegen. Bis zum 15. Oktober sollen Vorschläge öffentlich diskutiert werden können, und am 20. November fällt bei der Jahresversammlung die Entscheidung für die erste Runde.

Sieben reichlich allgemeine Prinzipien haben die Direktoren für die Auswahlentscheidung der ersten Runde formuliert. An erster Stelle steht noch immer die ‘Notwendigkeit, die Stabilität des Internet aufrechtzuerhalten, insbesondere der Schutz der Inhaber von Domain-Namen vor den Folgen eines Versagens einer Registry oder des Registrierungsverfahrens.’

Unterstützung in diesem Punkt kam von Seiten der Internet-Provider, die sich in den ICANN-Gremien der DNSO (Domain Name Supporting Organisation) dafür aussprachen, nicht zwei neue TLDs zur gleichen Zeit einzuführen. ISPs dürften, so argumentierte Rechtsanwalt Michael Schneider, der für die ISPs im Names Council sitzt, nicht haftbar gemacht werden für eventuelle Probleme bei der Neueinführung. Die ISPs hätten letztlich vor den Kunden etwaige Schwierigkeiten zu vertreten. Ein funktionierendes Whois, Sicherheitsvorkehrungen im Falle von Registry-Versagen und gegen ‘Domain Name Hijacking’ sollen danach zu den Hauptaspekten gehören. Die ISPs halten Schneider zufolge ICANNs Zeitplan für ‘bei weitem zu ehrgeizig’.

Welche Gefahren die Aufnahme neuer TLD-Zonen in die Root aber genau mit sich bringen, war zumindest in Yokohama nicht zu erfahren. RIPE-Chairman Robert Blokzijl mahnte zwar, dass bei der Prüfung der Vorschläge die Beherrschung einer stabilen Datenbank allein nicht ausreiche. Die Antwort auf die Frage, was die ‘unschuldigen Nutzer’ (Blokzijl) durch die Einführung zusätzlicher TLDs verwirren sollte, blieb er allerdings schuldig.

‘Der Gebrauch des Begriffes ‘Stabilität’ in diesem Zusammenhang zeugt von einer grundsätzlichen Ignoranz des DNS’, schrieb Mueller in einer detaillierten Antwort auf ICANNs Fragenkatalog zur Einführung neuer gTLDs. Und: ‘Es gibt keine Protokoll- oder Standardisierungsprobleme bei der Einführung neuer gTLDs.’ Die com-Zone wachse um 35 000 Einträge pro Tag. Mueller beruft sich dabei auf die DNS-Experten Paul Mockapetris und Paul Vixie. Vixie, so Mueller, habe der Arbeitsgruppe C eine Nachricht zukommen lassen, dass das DNS über 1 Million neue TLDs verarbeiten könne. Auch IANA-Chef Jon Postel zeigte großes Vertrauen in die Unverwüstlichkeit des DNS, als er 1996 die Einführung von 150 neuen TLDs vorschlug.

Die Angst vor dem Tag-1-Problem, an dem Registry-Betreiber gegebenenfalls Tausende von Registrierungen vorzunehmen hätten, sei ebenfalls vorgeschoben, urteilen Staub und Mueller. Queuing ermögliche die Abarbeitung von Spitzen, soweit es diese überhaupt gebe, meint Staub: ‘Jedes Kind mit einer Linux-Maschine kann so etwas bewältigen’. Er hält es nicht für ausschlaggebend, ob man eine neue Domain in Echtzeit oder erst nach zwei oder drei Tagen eingetragen bekommt; auch die seiner Meinung nach von Network Solutions (NSI) genährte Vorstellung, dass man ‘mindestens drei Bunker’ bräuchte, hält er für unsinnig. NSIs Konzept, alle Transaktionen über eine Maschine laufen zu lassen, vermittle die unzutreffende Vorstellung, dass es ohne Flaschenhals nicht gehe.

Schließlich ist alles andere als klar, ob die com-Konkurrenz sich tatsächlich so schnell durchsetzen kann. RIPE-Chair Blokzijl prophezeite in Yokohama, dass die Nutzer ‘.com’ nicht einfach links liegen lassen würden, nur weil sie auf ‘.web’ umsteigen könnten. Noch schwerer vorhersehbar ist die Akzeptanz spezieller TLDs wie ‘.fam’ oder ‘.kid’. Das Risiko finanzieller Desaster der neuen Registries müsse man bei der Einführung in Kauf nehmen, forderte selbst Vinton Cerf in Yokohama. ‘Da können andere in die Lücke springen’, ist sich Langenbach sicher.

Mehr Wettbewerb auf Registry- und Registrar-Ebene, eine Verbesserung der Nutzungsmöglickeiten des DNS, Ideen für die Erfüllung neuartiger Ansprüche - diese Kriterien sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Nun sollen möglichst unterschiedliche Konzepte in der Erstrunde zum Zug kommen - kommerzielle und nicht-kommerzielle Geschäftsmodelle, offene, also eigentliche gTLDs (etwa ‘.firm’) als echte Konkurrenz zu ‘.com’ und TLDs für bestimmte Zwecke oder Zielgruppen (wie ‘.museum’). Gerade für diese ‘chartered’ oder ‘restricted’ TLDs erwartet ICANN genaue Vorschläge zu den Registrierbestimmungen. Es gebe, so ICANNs Vizepräsident Louis Touton in seinem Bericht, interessante Ideen.

Rund 30 Vorschläge hat die ICANN nach einem entsprechenden Aufruf im Juni erhalten. Sie umreißen das Bewerberfeld, das von alten Hasen wie Paul Stahura, Richard Sexton oder Christopher Ambler bis zu gänzlich unbekannten Einsteigern reicht. Ganz neue Ideen waren nicht darunter, sieht man von einem detaillierten Vorschlag des Stanford Research Institute (SRI) ab, der zum Inhalt hat, unter einer Top Level Domain ‘geo’ jedem Fleckchen Erde seine Second und Third Level Domain entsprechend Längen und Breitengrad zuzuweisen. ‘Zum Beispiel könnte es einen Server mit dem DNS-Namen 10e20n.geo geben. Als Second Level Server (zehngrad.geo) steht er für eine 10 auf 10 Grad große Zelle der Erde. Diese Servicezone umfasst das Gebiet 10 bis 20 Grad östlicher Länge auf 20 bis 30 Grad nördlicher Breite.’ Das SRI muss für seinen Vorschlag allerdings noch gut überlegen, ob es seine Domains nach dem Prinzip ‘first-come - first-serve’ vergeben will, oder ob seine Kunden bestimmte Kriterien von Repräsentativität für diese Zone nachweisen müssen. Solche Probleme gelten für alle satzungsgebundenen TLDs; schon die Aufweichung bei ‘.org’ und ‘.net’ zeigt, wie schwierig es ist, Regeln für die Registrierung nicht nur zu formulieren, sondern auch durchzusetzen.

Auf den ersten Blick einfacher erscheinen die Vorschläge, die Telefonnummern als Domain-Namen einführen wollen, denen die amerikanische Presse gute Chancen einräumt. Netnumber in Massachusetts hat der ICANN die Einführung von ‘.tel’ vorgeschlagen, ‘einem holistischen Directory System, das Standard-Telefonnummern in Internet-Adressen übersetzt, über die IP-fähige Kommunikation wie Sprache und Fax oder Unified Messaging möglich sein sollen.’

Auch Ex-Monopolist NSI hat sich brav in die Schlange gestellt und die nicht ganz neue Idee einer Bank-Domain ‘.bank’ und einer offenen gTLD für kleine und mittelständische Unternehmen ‘.shop’ in die Waagschale geworfen. Da sicherlich kein Anbieter eine Lizenz für den alleinigen Betrieb von Registry und Registrar-Tätigkeit erhält, kann der Marktführer (14 Mio. registrierte Domains im Juni) auf die Kooperationsbereitschaft solcher Anbieter hoffen, die den technisch-operativen Betrieb outsourcen werden. Das kündigte beispielsweise James Love von der Verbraucherorganisation Consumer Projekt for Technology (CPT) an, der ICANN die Zulassung satzungsgebundener (chartered) TLDs wie ‘.union’, ‘.sucks’ oder ‘.isnotfair’ nahe legt. Zudem hat der einstige Monopolist inzwischen Verbündete in Gestalt der über einhundert akkreditierten ICANN-Registrars bekommen. Die haben in Yokohama nicht nur dafür gestimmt, dass sie in jeder denkbaren neuen TLD mit registrieren können. Vielmehr wollen sie auch das von NSI entwickelte Registry Registrar Protocol (RRP) für neue Shared Registry Systems (SRS) einführen. Um das RRP hatte es Anfang des Jahres große Diskussionen gegeben. IETF-Mitglieder hatten es als zu fehleranfällig bezeichnet - beispielsweise hinsichtlich unautorisierten Transfers von Registrierungsdaten. Inzwischen hat sich NSI um die Veröffentlichung von RRP als IETF-Draft (RFC 2832) gekümmert, um die Kritiker zu besänftigen. Nie zuvor hat es laut CORE-Sektretär Staub ein Protokoll gegeben, das im Auftrag einer Regierung - der US-Regierung - von einem Unternehmen entwickelt worden sei.

‘Allerdings hat RRP nach wie vor den Nachteil, dass es ausschließlich eine Light Legistry unterstützt’, so Staub. Als grosser Nachteil hat sich dabei offensichtlich erwiesen, dass es kein zentralisiertes Whois gibt. Nur die Domain-Registrierungs-Daten sind über die Registry abzufragen, die Kontaktdaten zu Inhabern und Verwaltern dagegen sind ausschließlich bei den Registrars vorhanden.

Ein zentrales Whois hätten auch die immer noch hartnäckigsten Gegner einer schnellen Öffnung des DNS für zusätzliche gTLDs, die Vertreter der Inhaber geschützter Marken. Das ICANN-Gremium, das sich um den Schutz dieser Interessen kümmert, die ‘Intellectual Property Constituency’ innerhalb der DNSO, erklärte sich zwar in Yokohama einverstanden damit, dass neue - allerdings möglichst wenige - gTLDs eingeführt werden. Gleichzeitig forderte ihr Sprecher aber eine zentrale Whois-Datenbank, die im Konfliktfall einen schnellen Zugriff auf mögliche Grabber oder Schutzrechtsverletzer ermöglicht. Außerdem möchten sie die von der ICANN Ende vergangenen Jahres eingeführte Unified Dispute Resolution zur Bedingung für die Registrars aller künftigen Registries machen. Das ICANN-Direktorium hat die Angst vor einer Prozesswelle gegen Domain-Grabber mit der Aufnahme eines Kritieriums für die Auswahl berücksichtigt. Der Präsident soll bei den Auswahlprinzipien ‘die Wichtigkeit eines angemessenen Schutzes der Rechte Dritter einschließlich der Urheberrechte (...) besonders in der Startphase’ Rechnung tragen.

Wie auch immer sich das Direktorium entscheidet, es muss selbst mit einem juristischen Nachspiel rechnen, besonders, wenn es sich für nur ein oder zwei neue TLDs entscheidet - auch wenn ICANN klug genug ist, einen Konsens-Vorschlag seiner akkreditierten Registrars zu akzeptieren und damit viele Einzelunternehmen unter einen Hut zu bringen. Dot.Web-Kämpfer Christopher Ambler wird sich kaum damit abspeisen lassen, dass es nach einer Evaluationsphase weitere Einführungen geben wird.

‘Es besteht immer die Möglichkeit, dass man verklagt wird. So ist das Leben’, meint die scheidende Interimsvorsitzende Esther Dyson, die gerne genauere Prinzipien formuliert hätte. ‘Wir haben gesagt, wir prüfen die Bewerbungen entsprechend bestimmter Kritierien, die Unternehmen, die alte Rechte geltend machen, in keiner Weise bevorzugen. Es gibt keinerlei Recht, eine von ICANN offiziell anerkannte Registry zu betreiben, bevor dieses Recht von ICANN erteilt wurde.’ Allerdings widersprach Dyson ihrem Präsidenten Mike Roberts. Ein Ende der Diskussion sei mit der Yokohama-Entscheidung nicht gekommen, ‘die aktuellen Kriterien sind kaum für die Ewigkeit gemacht.’

Monika Ermert
ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Internet-Politik.
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