Himmelfahrt - ein Bericht aus einer anderen Welt

Gedanken, die nicht-technikaffine Männer wohl nicht hätten.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Bernd Oestereich

Himmelfahrt wird ja immer noch auch als Männertag begangen. Oder als Vatertag von Männern, die Kinder haben oder welche haben könnten. Kontrolliert ja keiner. Wichtiger ist der Alkohol. Eigentlich bin ich nicht so ein Vatertagslosziehtyp. Diesmal war ich aber irgendwie dabei.

Da ich als Hamburger die vielen Kanäle und Wasser gewohnt bin, wollte ich eigentlich mit den Kumpels einen Kanu-Törn machen. Das Wetter war heute sehr stabil. Irgendwie haben wir zwar Wasser gefunden, aber keine Kanäle und schon gar keine Kanus. Alkohol zu besorgen war schon schwer genug. Und statt mehrerer Kanus einen Bollerwagen aufzutreiben, klappte leider auch nicht. Also sind wir einfach so losgezogen.

Dummerweise wurde ich von den Kumpels überhaupt nicht ernstgenommen, denn ich bin ja so ein spindeldürres, asiatisch aussehendes Mädchen. Obwohl ich ständig dumme Sprüche machte und die leeren Flaschen einfach testosterongetrieben in die Gegend warf. Also natürlich nicht ich, sondern mein Second-Life-Avatar. Naja, trotzdem bin ich also tapfer mit gezogen, wir kippten die Getränke rein, was das Zeug hielt, und wetterten gegen die Einschränkung unserer Grundrechte durch den G8-Gipfel.

Was heißt Einschränkung? Wenn es gerade dann, wenn ich das Recht haben möchte, mir versagt wird und es mir zugestanden wird, wenn gerade nichts los ist – dann ist es wohl eher eine Abschaffung. Naja, wir auch immer. Mein Avatar blieb dank seines nüchternen Spielers ist bester Verfassung, so sehr ich mich auch um Kontrollverlust bemühte. Nach Heiligendamm kamen wir auch nicht, war nicht zu finden. Warum tagen die nicht einfach in SecondLife?

Dann könnte ich endlich auch so richtig gewalttätig werden. Polizisten verprügeln. Wie an meinem ersten Tag in SecondLife, wo ich Autofahren übte und über irgendsoein Tier gefahren bin. Das beschwerte sich dann glatt in englischer Sprache, schimpfte gar, ging aber partout nicht tot. Vielleicht sollte ich mit anderen eine kriminelle Vereinigung bilden und SecondLife hacken. Und wenn wir dafür in den Knast kommen, kreieren wir uns einfach einen neuen Avatar.

Für den Staat wäre das doch auch eine tolle Alternative. Jeder hat jederzeit alle Grundrechte. Im SecondLife. Und am besten auch nur dort. Das sollte doch reichen oder? Freie Meinungsäußerung? Ist doch antiquiert. Im SecondLife können uns doch noch viel mehr Rechte zugestanden werden. Beispielsweise das Recht auf gewalttätige Ausschreitungen. Im Gegenzug könnten wir im FirstLife vielleicht etwas reduzieren, beispielsweise nur noch jeweils drei politisch korrekte verschiedene Wahlergebnisse zur Auswahl stellen. Oder das Recht auf freie Meinungsäußerung nur noch Sonntags von 10 bis 11.30 Uhr. Seit es SecondLife gibt, kommen mir ständig solche Ideen, von denen mein Avatar mangels eigener Fantasie komischerweise gänzlich unberührt bleibt.

Wie? Frühstück nur bis 11 Uhr? Augenblicklich fiel ich zurück in die Realität. Ich war ja gar nicht im SecondLife, sondern saß im Wellnesshotel in Neukloster in Meckvorpomm, blickte aus dem Wintergarten auf den sonnigen romantischen See und schenkte mir gerade Tee nach. Die ganze Geschichte hatte sich nur in meinem Kopf zugetragen. Funktionierte ohne Login, ohne PC oder Strom, ohne Lindendollars und es hätte auch Kanus gegeben. Ich kann es einfach nicht lassen und tauche immer wieder in virtuelle Welten ein. Ist es von hier eigentlich weit nach Unheiligendamm?

P.S.: Nächstes Mal ziehe ich halt am Muttertag los! ()