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Kleiner Nachschlag

Fahrbericht Renault Zoe R110

Fahrberichte Clemens Gleich
Renault Zoe

(Bild: Clemens Gleich)

Renault hat nach den guten Erfahrungen mit dem Motor des Zoe in der Steuerungs-Software mehr Leistung freigeschaltet. Das verkaufen die Franzosen als Zoe R110. Wir ziehen dem Auto außerdem Sportreifen auf

Als Renault damit anfing, die fremderregten Elektromotoren im Antrieb unter anderem des Zoe selber zu bauen, statt sie von Conti zuzukaufen, planten sie mit großem Sicherheitsabstand zu dessen physikalischen Möglichkeiten. Seit sich der Motor im Alltag bewährt hat, wurde Renault mutiger. Derselbe Motor im selben Antrieb leistet nun 80 kW (108 PS) statt 68 kW (92 PS). Die Mehrleistung entstammt einer Drehmomenterhöhung, am Maximalpunkt über 5 Nm auf jetzt 225 Nm. An der Hardware ändert sich überhaupt nichts, die Steuersoftware gibt lediglich etwas mehr Leistung frei. Die Leistungs-Daten waren die Headlines des Autos, sie sind aber im Alltag kaum relevant.

Ohne den direkten Vergleich zum R90 fällt die geringe Mehrleistung in der Praxis nämlich kaum auf. Dazu wiegt der Wagen schlichtweg zu viel. Der Zoe beschleunigt weiterhin nachdrücklich aus dem Stand, ohne "woah!"-Gefühl, aber auch nicht ohne Fahrfreude. Die Beschleunigungswerte liegen der Leistung entsprechend etwas besser, aber nicht so viel besser, dass es zum Kaufgrund würde. Bis 50 km/h vergehen aus dem Stand 0,2 s weniger. Man wäre bei zeitgleichem Start also gut anderthalb Meter weiter vorne bei 50. In der Mitte zeigt sich die Mehrleistung etwas, auf 100 braucht der ZOE rund 2 s kürzer. Die Endgeschwindigkeit bleibt auf 135 km/h limitiert. Auch die maximale Leistung der elektrischen Bremse blieb gleich, obwohl die größere Batterie (41 kWh Standard im R110) mehr schlucken könnte. Der Flaschenhals liegt hier in der unveränderten Leistungselektronik.

No Sports

Damit ergibt sich für mich früh das Fazit: Wer den R90 hat oder günstig schießen kann, muss nicht auf den R110 schielen. Man verstehe den R110 auch nicht als irgendwie sportliche Variante eines Zoe. Die Idee, einen Zoe schnell zu fahren, schminkt sich jeder schnell ab, der das einmal probiert. Die Lämpchen blinken hocherregt sehr früh bei eher langweiligen Kurvengeschwindigkeiten, die Ökoreifen lassen früh im Grip los, die Bremsen sind für jeden Sportansatz unterdimensioniert für das zu bremsende Gewicht. No Sports. Die Stärken des Zoe liegen in denen vieler französischer Wagen: im Gleiten. Wer rund fährt, holt aus dem Zoe trotz nominell gegenüber den Neodym-Magnet-Konkurrenten etwas ineffizienterem Motor erstaunliche Verbrauchswerte [1].

Wir haben den R110 außer mit Serienreifen auch mit einem Satz Michelin Pilot Sport 4 [2] ausprobiert. Ziel war es eigentlich, die Serienbereifung mit Sportreifen in Sachen Verbrauch, Bremsweg und Kurvengeschwindigkeit zu vergleichen, weil es ja durchaus Kunden geben mag, denen die Reichweite mehr als ausreicht. Die könnten dann ihren Überschuss in Reifenhaftung investieren. Leider haben es die Serienräder nicht mit in den Transporter geschafft, sodass wir Sie hier vertrösten müssen.

Ich fand den Ausfall dieses Tests dann nicht mehr schlimm, als ich die Sportreifen fuhr: Ja, der Fahrer spürt deutlich mehr Grip, aber ich würde dennoch bei den Serienreifen oder anderen Leichtläufern bleiben, weil der Haftungsgewinn mit einem Komfortverlust einhergeht. Wie bei vielen Elektroautos führt das hohe Gewicht zu enormem Federkomfort, unterstützt durch die hohen Reifenseitenwälle der Serienreifen auf 16-Zoll-Felgen. Der Mehr-Grip wäre mir das härtere Abrollverhalten des Pilot Sport auf den 17-Zoll-Felgen nicht wert. Bitte schreiben Sie uns, wenn Sie dieser Vergleich dennoch interessiert. Wir werden bei entsprechendem Interesse versuchen, ihn im Herbst nachzuholen.

Touchy-feely

Im Innenraum erhält der R110-Kunde den Touchscreen serienmäßig. Das Infotainment-System namens R-Link kennen wir aus anderen Renaults. Es funktioniert meistens ganz okay, gibt jedoch kein Kaufargument gegenüber anderen Autos. Ansonsten bleibt es auch innen beim Alten: Die Plastikfläche unter der Windschutzscheibe reflektiert so stark, dass ihre Reflektion auf der Scheibe je nach Lichteinfall stört. Die weichen Sitze liegen hoch und ich sitze sehr bequem, wenn auch ohne Seitenhalt (auch hier: No Sports). Die Rückbank lässt sich nur im Ganzen umlegen. Ich habe (umgeklappt) sehr viel in den Kofferraum quetschen können, darunter ein Fahrrad, einen großen Flachbild-Fernseher oder eine Kellerladung Sperrmüll eines Zweipersonenhaushalts.

Ich mochte den Zoe schon seit unserer ersten Begegnung, und gönne ihm daher seinen Status als Europas bestverkauftes Elektroauto. Dass es jetzt eine zweite Motorvariante gibt, sehe ich eher als Marketing-Gag von Renault. Eigentlich hätten die Franzosen die Mehrleistung allen Zoe-Kunden einfach freischalten können. Das Potenzial ist vorhanden und erprobt. Vielleicht findet sich ja ein Experte für Embedded-Systeme in der Fan-Szene, der hier nachhilft …


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Praxis-Gute-Reichweiten-im-Elektroauto-ohne-zu-nerven-2765441.html
[2] https://www.heise.de/preisvergleich/?in=&fs=Michelin+Pilot+Sport+4&cs_id=1206858352&ccpid=hocid-autos