Der hat Gewicht

Fahrbericht: Audi e-tron

2019 ist es dann wirklich endlich soweit: Mit dem Audi e-tron geht das erste Elektroauto der Marke in Serie. Eine erste kurze Ausfahrt zeigt, dass Audi die Zeit gut genutzt hat, denn der e-tron fährt sich gut. Doch auf einige Fragen liefert er erwartungsgemäß keine Antworten

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Audi e-tron 19 Bilder

(Bild: Audi)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jürgen Wolff, press-inform
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Nein, übertriebene Hast bei der Produktion ihres ersten elektrisch angetriebenen Autos kann man Audi beim besten Willen nicht vorwerfen. Dem Audi e-tron, der 2019 in Serie geht, gingen unzählige Studien auf Messen voraus. Nun kommt das SUV mit E-Antrieb gerade noch rechtzeitig, um die Konkurrenz nicht zu weit aus den Augen zu verlieren. Eine gewisse Vorsicht mag man daran erkennen, dass Audi mit dem e-tron den Massenmarkt vorerst nicht im Blick hat. Eine erste Ausfahrt mit dem Batterieauto zeigt indes, dass die Ingolstädter die viele Zeit dennoch sinnvoll genutzt haben.

Äußerlich gibt sich der e-tron ziemlich zurückhaltend. Auf den ersten Blick unterscheidet ihn nichts Gravierendes von der aktuell bei Audi üblichen Gestaltung. Erst wer genauer hinschaut, erkennt ein paar kleine Eigenheiten: den fehlenden Auspuff, die kleine Klappe zwischen vorderem Radkasten und Tür. So normal kann ein Elektroauto aussehen. Mit 4,9 Metern ist er fast so lang wie ein Audi Q8 und deutlich länger als ein Audi Q5 (Test).

Bedien-Ärgernis Touchscreens

Auch innen bleibt eine gestalterische Sensation weitgehend aus. Bequeme Sitze, ausreichend Platz vorn wie hinten, 600 Liter Laderaum mit elekrisch öffnender und schließender Heckklappe, hinzu kommen 60 Liter unter der vorderen Haube. Mit den drei Displays muss man sich wohl arrangieren, im täglichen Gebrauch ist das aber eigentlich keine gute Lösung. Denn deren Bedienung erfordert Sichtkontakt und einen Teil jener Aufmerksamkeit, die eigentlich dem Verkehrsgeschehen gehören sollte.

Kameras und Displays statt Rückspiegeln

Audi bietet im e-tron auch Videokameras an, die die Außenspiegel ersetzen. Das soll dank der besseren Aerodynamik zwar die Reichweite um bis zu 35 Kilometer verlängern, was wir für äußerst optimistisch halten. Im Alltag ist es zumindest gewöhnungsbedürftig. Man blickt zunächst unwillkürlich immer Richtung Außenspiegel, und landet bei der Kamera. Das irritiert ziemlich. Die kleinen Monitore in den Türen, auf denen der Blick zurück eingespielt wird, sind nur schwer zu erkennen, vor allem bei hellem Sonnenlicht. Wer sich darauf einlassen will, sollte das erst ein paar Tage in der Praxis ausprobieren.

Bis hierher überrascht nur wenig, doch das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf dem Antriebsstrang. Audi hat aus den Vollen geschöpft. Mit einer Batteriekapazität von 95 kWh sollen unter den Bedingungen des WLTP rund 400 km möglich sein. Dann darf man allerdings von den möglichen Fahrleistungen nur einen Bruchteil nutzen – was schwerfällt. Audi verspricht eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h und 5,7 Sekunden im Standardsprint – 300 kW sein Dank.

Das maximale Drehmoment von 664 Nm liegt gewissermaßen ab der ersten Umdrehung an, und das prägt den Fahreindruck. Trotz eines Leergewichts von fast 2,5 Tonnen schiebt der Audi mit einer beeindruckender Leichtigkeit voran, die geradezu aufreizend ist, weil sie ohne das gewohnte Getöse vonstattengeht. Der Brocken ist viel zu schwer, um als ökologisch halbwegs vertretbares Vehikel durchzugehen, doch die Art und Weise, wie sich das SUV unterwegs nahezu lautlos in Szene setzt, lässt fast niemanden kalt.

Schwer und kräftig ist die neue Mode

Dieser Eindruck wird davon unterstützt, dass kein Getriebe erst eine passende Übersetzung suchen muss. Der Motor ist stets vollständig empfangsbereit, was ungewohnt, aber sehr angenehm ist. Man könnte es sich auch mit deutlich weniger als 300 kW vorstellen, doch der Zeitgeist scheint diesem Wunsch im Weg zu sein. Die Frage, wann genug endlich genug ist, wollen wir an dieser Stelle nicht zu Ende debattieren. Doch ob ein 2,5-Tonnen-SUV mit 300 kW die Lösung auf drängende Fragen sein kann, beantwortet sich eigentlich von selbst. Damit ist Audi nicht allein, sondern hat mit dem Mercedes EQC400, dem Jaguar i-Pace (Test) und dem im Werden begriffenen BMW iNext gewissermaßen noblen Geleitschutz.

Rekuperation hauptsächlich beim Bremsen

Beim Bremsen rekuperiert der e-tron wie man es aus anderen E-Autos kennt. Audi selbst sagt, dass rund 90 Prozent aller Bremsungen im Alltag im Bereich der Rekuperation liegen. Gefühlt ist aber keine der drei einstellbaren Rekuperationsstufen ist wirklich stark. Wenn man vom Pedal geht, wirkt das bei anderen Elektroautos wie eine reguläre Bremse – im e-tron nicht.

Der Schwerpunkt liegt durch die weit unten eingebaute Batterie sehr tief. Die Aufhängung wurde aus dem Q5 übernommen, eine ausgewogene Lastverteilung trägt zu einer ausgezeichneten Straßenlage bei. Der Fahrkomfort ist je nach eingestelltem Fahrprogramm bequem bis ruppig – sieben Programme gibt es zur Auswahl. Darunter auch eine Offroadeinstellung, die zumindest für leichteres Gelände taugt – mehr wird der überwältigende Teil der Kundschaft ohnehin nie abrufen.

Die sollte gut bei Kasse sein, denn auch wenn in diesen Gefilden der Absatz über Leasingraten gelenkt wird: Bei einem Basispreis von 79.900 Euro entsteht keine Rate, die massenkompatibel ist. Doch natürlich darf man das auch anders sehen, denn teure Innovationen werden eigentlich fast immer von oben nach unten durchgereicht. Angesichts dessen, was in den kommenden zwei Jahren auf den Markt kommt, hoffen wir aber, dass Audi sich dabei weniger Zeit lässt als beim Serienanlauf des e-tron.