Lobbygruppe scheitert mit Verfügungsantrag gegen Wikimedia

Die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanzierte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" wollte per einstweiliger Verfügung die Löschung eines Diskussionsbeitrages in der Wikipedia erreichen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Vor dem Oberlandesgericht Köln konnte der Verein Wikimedia Deutschland in einem Rechtsstreit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) einen Etappenerfolg verbuchen. In der mündlichen Verhandlung erteilte das Gericht einem Antrag der Initiative auf einstweilige Verfügung gegen Äußerungen in der Wikipedia eine Absage, woraufhin der Kläger seine Berufung gegen die erstinstanzliche Ablehnung des Antrags zurückzog, die Angelegenheit aber im Hauptsacheverfahren weiterverfolgen will. Das Gericht bejahte allerdings eine potenzielle Haftung des Vereins für Äußerungen in der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia (Az. 15 U 190/06).

Verhandelt wurde über eine einstweilige Verfügung, die die Werbeagentur berolino.pr GmbH im vergangenen Jahr gegen den Verein Wikimedia Deutschland erwirken wollte. Anlass war ein Kommentar auf den Diskussionsseiten zum Wikipedia-Eintrag über die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanzierte INSM. Ein anonymer Autor hatte dort die INSM unter anderem als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet, die die Grundzüge der Demokratie in Deutschland unterwandere. Der Kommentar schloss mit den Worten "Diese Organisation gehört verboten". Der strittige Kommentar war zwar von Wikipedia-Nutzern entfernt worden, zum Zeitpunkt der Klage aber immer noch in dem Versionsarchiv der Artikeldiskussion abrufbar.

Die Werbeagentur, die heute unter dem Namen "INSM – Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH" firmiert, wollte den Verein Wikimedia Deutschland nicht nur zur Entfernung der Äußerung aus dem Archiv verpflichten, sondern darüber hinaus auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Der Verein hätte dafür Sorge zu tragen gehabt, dass diese Äußerung in der Wikipedia nicht wieder auftaucht. Das Landgericht Köln hatte die Verfügung Ende des vergangenen Jahres mit der Begründung abgelehnt, dass die Werbeagentur keinen Ehrenschutz für die hinter der Initiative stehenden Personen in Anspruch nehmen könne.

In der Berufung vor dem OLG argumentierte der Anwalt der INSM nun, dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ausschließlich das Produkt dieser Werbeagentur sei, auch wenn die Arbeitgeberverbände die Plattform finanzierten. Insofern sei die Firma sehr wohl von der Äußerung betroffen, ihr werde kriminelles Verhalten unterstellt. Dieser Auffassung wollte sich das Oberlandesgericht allerdings nicht anschließen. Zwar könnten sich die öffentlichen Repräsentanten der INSM eventuell gegen eine solche Äußerung wehren, die Werbeagentur könne aber nicht gerichtlich dagegen vorgehen. Im Übrigen handelt es sich bei dem strittigen Kommentar nach Auffassung der 15. Zivilkammer des OLG Köln um eine zulässige Meinungsäußerung, die die INSM aushalten müsse.

Wikimedia Deutschland hatte die Forderung mit dem Argument zurückgewiesen, keinen direkten Einfluss auf die Inhalte der Seite zu haben. Grundprinzip der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia ist, dass sich jeder Internet-Nutzer an der Erstellung der Artikel und Diskussionen ohne Anmeldung beteiligen kann. Betreiber der Online-Enzyklopädie ist die Wikimedia Foundation im US-Bundesstaat Florida. Wikimedia Deutschland betreibt die Domain wikipedia.de, die auf die deutsche Einstiegsseite der Online-Enzyklopädie weiterleitet.

Während die INSM dem Gericht für eine Klage zu wenig greifbar ist, sieht das Gericht Wikimedia Deutschland juristisch durchaus in der Pflicht: Der Verein habe bei einer einstweiligen Verfügung dafür Sorge zu tragen, dass rechtswidrige Inhalte nicht eingestellt würden oder müsse die Weiterleitung auf die freie Online-Enzyklopädie aufgegeben. Der Kläger hatte argumentiert, dass Wikimedia Deutschland Einfluss auf den Inhalt von Wikipedia-Artikeln und Diskussionen habe, da der Wikimedia-Vorsitzende Kurt Jansson gleichzeitig Administrator in der Wikipedia sei und damit auch Inhalte löschen könne. Wikimedia-Anwalt Thorsten Feldmann wies dies scharf zurück. Dass Jansson gleichzeitig Administrator sei, sei nur eine zufällige Personalunion, der deutsche Verein sei vielmehr als Fanclub der Wikipedia zu verstehen. Die Wikimedia Foundation könne Jansson jederzeit die Rechte als Administrator entziehen. Darüber hinaus könne auch ein Administrator nicht für eine dauerhafte Löschung bestimmter Inhalte garantieren.

Inwieweit der deutsche Verein für Wikipedia-Inhalte haftet, muss als Nächstes das Landgericht Köln klären. Zwar hat die Werbeagentur heute ihren Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung zurückgezogen, aber in gleicher Sache schon Klage vor dem Landgericht eingelegt. Wann das Hauptsacheverfahren eröffnet wird, ist bisher aber unklar. Der Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland Arne Klempert verurteilt das Vorgehen der INSM. "Wer glaubt, solche Diskussionen und pointierte Meinungsäußerungen auf juristischem Wege generell unterbinden zu können, hat offenbar das Internet noch nicht als sozialen Raum begriffen", sagt Klempert.

Mit solchen Verständnisschwierigkeiten hat Wikimedia inzwischen öfter zu kämpfen: Erst vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass der Komiker Atze Schröder Klempert wegen der Nennung seines bürgerlichen Namens in der Wikipedia verklagt hatte. Im vergangenen Jahr hatte der Verein im Rechtsstreit um den verstorbenen Hacker Tron die Weiterleitung der Domain wikipedia.de kurzzeitig abschalten müssen. (Torsten Kleinz) / (vbr)